170 Jahre – so lange wie den Bürger- und Schützenverein gibt es keinen in Bad Brückenau. Groß gefeiert werden soll das am Wochenende nicht, sagt Vorsitzender Edgar Rieß. Doch zum Jubiläum hat er die Geschichte des Traditionsvereins überarbeitet, der mehr als einmal vor dem Untergang stand.
Ein Verein, in dem geschossen wird: Das hatte keines der 36 Gründungsmitglieder im Sinn, als sie am 15. Oktober 1842 einen Bürgerverein aus der Taufe hoben. Brauchtum und Gesang wollten sie betreiben.
Das hat Edgar Rieß erst kürzlich anhand einer Rede eines Rochus Kömpel von 1903 und anderer Quellen herausgefunden: „Etwa zeitgleich muss sich wohl eine Schützengilde gegründet haben; die Protokolle beginnen erst einige Jahre danach.“ Offensichtlich habe es eine große Zahl von Menschen, auch im Bürgerverein, gegeben, die schießen wollten.
Belegt ist, dass 1850 der erste Schießplatz errichtet wurde, im heutigen Schützenhain, oberhalb der Weckbecker-Klinik. Auch ein festes Gebäude muss es gegeben haben. Schließlich hat Rieß einen Beleg, dass es 1887 für 250 Mark verkauft wurde. Verkaufsbedingung war, dass das Haus abgerissen und Bäume und Ziersträucher gepflanzt werden.
1860 vereinigten sich die beiden Gesellschaften zum Bürger- und Schützenverein. Vorsitzender wurde Raimund Moritz, der zuvor sechs Jahre Chef der Schützengilde gewesen war. Dass der kulturelle Zweck noch eine wichtige Rolle spielte, zeigt, dass sich im Oktober 1888 im Verein ein Männerchor gründete. Die Sänger gaben am 8. Dezember des gleichen Jahres zugunsten der Geschädigten eines Brandes in Hünfeld ein Benefizkonzert.
1896 gründete sich eine weitere Schützengesellschaft in Brückenau. Rieß vermutet, für die Oberschicht, jedenfalls waren viele Ärzte dort Mitglied. Darunter war ein Dr. Winterstein, Gründungsmitglied des Roten Kreuzes in Bayern. Der Verein löste sich nach wenigen Jahren auf. Und der Schießbetrieb in der kleinen Kurstadt dümpelte vor sich hin.
Dann, kurz vor dem Ersten Weltkrieg, trat Johann Donhauser auf den Plan. Der Offiziant am Brückenauer Amtsgericht engagierte sich zunächst in einer anderen neu gegründeten Gesellschaft – dem Schützenverein Bavaria. Dort war er zweiter Schützenmeister. „Donhauser hatte für den Verein enorme Bedeutung“, sagt Rieß. Noch kurz vor dem Krieg 1914 kam die Genehmigung, an der Leimbachswand eine Schießanlage zu errichten. Möglich wurde dies, weil ein Mann namens Grünebaum – vermutlich ein Jude – dort für den Verein Land kaufte. Dort steht heute das Schützenhaus.
Der Krieg behinderte den Bau des Schießstandes, raffte aber nicht beide Vereine hinweg. Am 6. Februar 1919 vereinigte sich Bavaria mit dem Bürger- und Schützenverein. Weitere Grundstücke wurden an der Wasserstube erworben, so dass die Schießbahn auf 130 Meter erweitert werden konnte. Mitte der 1920er-Jahre kam die große Zerreißprobe für den Traditionsverein: 1927 wurde das Schützenhaus mit Kleinkaliberständen gebaut. Das Problem: Inzwischen hatte die Inflation in Deutschland alle Ersparnisse wertlos gemacht.
Ursprünglich sollte das Schützenhaus 7500 Reichsmark kosten; es wurden 19 032. Rieß: „Plötzlich hatte der Verein riesige Schulden. Johann Donhauser wehrte immer wieder Forderungen mit Privatgeld ab.“
Zur 85-Jahr-Feier am 4. September 1927 wurde das Schützenhaus mit einem Preisschießen eingeweiht. Einen Monat zuvor hatten die Brückenauer die Patenschaft für den Mottener Schützenverein übernommen. Dass zwischen 1928 und 1932 keine Jahresversammlung stattfand, zeigt, wie kraft- und geldraubend das Projekt Schützenhaus gewesen war.
Zwar wurden noch im Zweiten Weltkrieg die Schießanlagen erweitert und zum 100-jährigen Bestehen 1942 mit Anton Haas erstmals ein Schützenkönig gekürt. Aber ab 1943 ging wegen der vielen Einberufungen nicht mehr viel. Der nächste Schützenmeister wurde erst 1952 – sieben Jahre nach dem Krieg – gekürt. Im Vereinslokal „Zum Adler“, heute Metzgerei Schuricht, wurde ein eingeschränkter Schießbetrieb mit Luftgewehren aufgenommen. Die kulturelle Schiene war komplett eingeschlafen. Edgar Rieß kann sich gut an diese Zeit erinnern, in der „ich noch ein Bub war“.
1957 bis 1960 wurden neue Schützenstände mit Sicherheitsblenden gebaut. Möglich war nun Schießen per Luftgewehr, Pistole, Kleinkaliber 50 und 100 Meter und simuliert auf laufendes Wild. 1963 dann die nächste Krise des Vereins. In der Führungsspitze gab es Unstimmigkeiten. Der Verein stand vor der Auflösung. Damals wandte sich Otto Trapp um Hilfe an das Rathaus, in dem Rieß Geschäftsleitender Beamter war.
Bürgermeister Egid Trost bat diesen mitzuhelfen, einen neuen Vorstand zu installieren. Rieß blieb hängen, wurde Mitglied und 1964 zum Schriftführer gewählt. In den folgenden Jahren wurde kräftig in den Verein investiert. 1965 bis 1967 wurde eine Wohnung ins Dach des Schützenhauses eingebaut, so dass der Verein zusätzliche Einnahmen bekam.
Für mehrere Hunderttausend Euro sanierten und bauten die Mitglieder die Schießanlagen aus: „Ich wundere mich heute noch, wie die Finanzierung damals möglich war“, so Rieß. Er selbst hielt sich nach eigenen Angaben aus der direkten Vereinsführung heraus, wurde erst am 18. Juni 1995 Vorsitzender, als sich kein anderer fand.
Und heute? Edgar Rieß ist zufrieden, dass der Bürger- und Schützenverein schuldenfrei ist und mit 750 000 Euro genügend Vermögen hat. Und das trotz immensen Aufwandes für den Unterhalt. Mit einem Hektar ist das Vereinsgelände relativ groß geworden.
Nur mit der Mitgliederzahl von 85 ist Rieß nicht zufrieden. Aber ihm ist bewusst, dass die 150 bis 170 Mitglieder aus den 1920er-Jahren nicht mehr erreicht werden.
Das Jubiläum wird bescheiden gefeiert – am Sonntag mit Seniorennachmittag und Glücksschießen im Schützenhaus: „Ich will kein finanzielles Risiko eingehen.“ Schließlich habe es im Bürger- und Schützenverein genügend Krisen gegeben.