Der Kronleuchter aus dem Kissinger Steigenberger-Hotel hängt noch nicht. Kann er auch nicht. Erst wenn die Arbeiten im Mellrichstädter Bahnhof fertig sind, soll er ihm Fünf-Sterne-Glanz verleihen. Noch dominieren graue Trockenbauwände und spröde Estrichböden. Doch die Besucher aus Mellrichstadt und Umgebung wollten am Sonntag ihren Bahnhof neu entdecken. Sie kamen in Scharen. Und wurden nicht enttäuscht.
Bauherrin Nicole Seemann hatte mit regem Besuch gerechnet. Aber mit so viel nun doch nicht. Seit 10.30 Uhr überschritten ständig Besucher die Türschwelle. Auch wenn der Tag der offenen Baustelle erst um 11 Uhr offiziell begann.
Gleich hinter dem Eingang bildete sich eine Schlange. Die Menschen warteten bis zu zehn Minuten, um in die oberen Geschosse gelangen zu dürfen. Seemann und ihre Mitstreiter hatten sich entschieden, diesen Bereich, in dem Wohnungen entstehen, nur geführten Gruppen zugänglich zu machen. Zu baustellenhaft ist noch das Ambiente, mit offenen Kabelschächten, verhängten Fenstern, mit Decken, aus denen Dämmwolle quoll.
Robert Kohl wachte an einer Absperrung im Erdgeschoss, dass niemand unbefugt diesen Bereich betrat. Wen er durchließ, den nahmen entweder Nicole Seemann oder Bautechnikerin Claudia Dietz in Empfang.
Sie führten die Neugierigen die etwas gebrechlich wirkende Holztreppe hinauf in zwar noch triste, aber großzügige Räume. Kaum zu glauben, dass die Wohnungen nur zwischen 41 und 61 Quadratmeter groß sein sollen. Balkon inklusive. Jede der acht Behausungen verfügt über einen Wohn- und einen Schlafraum; dazu Küche und Bad. Ein oder zwei Bewohner sollen sie bald mit Leben füllen.
„Wir haben die Schlafräume zugunsten der Wohnzimmer recht klein gehalten. Bett und Kleiderschrank passen aber locker hinein“, sagte Claudia Dietz den Besuchern. Sie berichtete auch ausführlich über Belüftung und Dämmung, sowohl in den Wohnungen als auch an der Außenfassade des Bahnhofs.
Die Besucher wollten noch mehr wissen. Zum Beispiel, was so eine Wohnung kostet. „Sechs Euro der Quadratmeter kalt“, antwortete Dietz. Macht also zwischen 240 und 360 Euro für ein Single-Domizil mit gediegenem Bahnhofsflair.
Barbara und Herbert Pitrof waren die Holztreppe gerade wieder herabgestiegen. Nun stärkten sie sich im Erdgeschoss mit Kaffee und Kuchen. Auf dieser Ebene betreibt die Bäckerei Kessler voraussichtlich ab Mai ein Café.
Das Ehepaar Pitrof wohnt seit 1979 in Mellrichstadt. „Seitdem kennen wir den Bahnhof, haben dort Fahrkarten gekauft, als er noch besetzt war“, sagt Barbara Pitrof. Dann allerdings hätten sie Leerstand und Verfall miterlebt. „Jetzt wollten wir sehen, wie der Bahnhof neu zum Leben erweckt wird.“
Für ihren Mann Herbert üben Bahnhöfe eine besondere Anziehung aus. Arbeitete sein Vater doch als Lokführer. Momentan ist das Ehepaar nicht auf Wohnungssuche. Aber so ein schnuckliges Domizil für die nicht mehr ganz so ferne Zukunft – das wäre doch was.
Besucherin Gabi Schleicher fand es schön, dass im Bahnhof kleine Heime für Einzelpersonen geschaffen werden. Auch die Lage mit Nähe zur Innenstadt überzeugte sie.
Nicole Seemann hegt gar keine Zweifel, dass die Wohnungen in kürzester Zeit vergeben sein werden. „Seit bekannt ist, dass wir sie hier einrichten, gab es viele Anfragen.“
Wohl im Juli dürften die ersten vier Wände bezugsfertig sein. Eines aber wollte die Stadträtin und Unternehmerin loswerden, bevor sie zur nächsten Führung eilte: „Die Wohnungen stehen nur zur Vermietung an. Verkaufen will ich sie nicht.“
Übrigens: Nicht nur der Kronleuchter wird den Bahnhof von 1875 bereichern. Auch die Holztreppe genießt im nicht denkmalgeschützten Bau Bestandsschutz.