Regional liegt im Trend, auch in der Gastronomie. Zugleich brechen aber im Hotel- und Gaststättenfach die Ausbildungszahlen drastisch ein. Die Folge: Köche und Servicekräfte fehlen, das gutbürgerliche Gasthaus stirbt. Auch Rhöner Wirte kämpfen gegen den Fachkräftemangel. Mancher Inhaber geht aus der Not heraus neue Wege.
Sterben deutsche Gasthöfe aus?
Regionales Essen braucht regionale Ausbildung, davon sind Claus und Brigitte Vorndran vom Gasthaus Dickas in Bischofsheim überzeugt. „Geht die Entwicklung so weiter, gibt es in zwanzig Jahren keine deutschen Gasthöfe mehr“, prognostizieren sie. „Ohne Köche, keine regionale Küche.“ Die Vorndrans wissen, wovon sie sprechen. Seit Jahrzehnten setzen sie auf regionale Produkte, Claus Vorndran ist Vorsitzender der Rhöner Wirtevereinigung und im Vorstand der Dachmarke Rhön, Ehefrau Brigitte organisiert seit Jahren den länderübergreifenden Lehrlingswettbewerb der Dachmarke Rhön. Mittlerweile falle es immer schwerer, überhaupt geeignete Azubis für den Wettbewerb zu rekrutieren.
Berufsschule: „Massiver Einbruch“
Von einem „massiven Einbruch“ der Schülerzahlen im Bereich Gastronomie in den letzten zehn Jahren spricht auch Uschi Delißen, Abteilungsleiterin Gastronomie an der Berufsschule Bad Kissingen. Die Bad Kissinger Berufsschule ist auch für das Einzugsgebiet Rhön-Grabfeld zuständig. „Früher hatten wir vier Parallelklassen im Bereich Service, heute sind es nur noch zwei.“ Das sind statt 120 nur noch etwa 45 Azubis im Service. Bei den Köchen war der Rückgang genauso drastisch: Von ursprünglich 70 auf unter 20 Auszubildende. „Wir hoffen aber, die Talsohle ist durchschritten“, so Delißen weiter. In diesem Jahr seien es wieder über 35 Koch-Azubis.
Hohe Abbrecherquote
Hinzu komme, so Delißen, dass die Abbrecherquote im Bereich Gastronomie sehr hoch ist. „Mit 16, 17 Jahren sind die Auszubildenden mitunter sehr jung.“ Häufig hätten sie sich unter dem Berufsbild einfach etwas komplett anderes vorgestellt.
Noch deutlich dramatischer ist die Situation im thüringischen Bad Salzungen. Mindestens 15 Schüler braucht es an der dortigen Berufsschule für eine Köche-Klasse. „Weil vor drei Jahren ein Schüler gefehlt hat, kam die Klasse nicht zustande“, berichtete Berufsschullehrerin Petra Salamann. Das Absurde: Am ersten Schultag wäre der 15. Azubi da gewesen, da war die Entscheidung aber bereits gefallen, dass die Lehrlinge zur Beschulung den langen Weg nach Gotha fahren müssen. Immer wieder müssen seither angehende Köche und Servicekräfte aus dem Einzugsgebiet Bad Salzungen – manchmal auch nur für ein Lehrjahr – nach Gotha pendeln.
Die Region leidet
Die Lehrerin ist überzeugt, dass unter einer solchen Verlagerung die ganze Region leidet: „Das Schlimme ist: Sind die Schüler einmal weg, dann kommen die nicht wieder.“ Die Schule habe Gespräche mit Landräten, IHK und dem Kultusministerium geführt, um die überkommenen Strukturen aufzubrechen – bislang ohne Erfolg. „Warum kann man auf dem Land nicht kleine, feine Klassen fahren? Es muss doch überall weitergehen!“, so Salamann.
Arbeitszeiten und Umgangston
Gründe für den Schülerrückgang gibt es viele. Delißen hat im Rahmen einer Umfrage folgende Hauptgründe identifiziert: „Die langen Arbeitszeiten und der mitunter raue Umgangston in der Gastronomie.“ Immer wieder würde auch die niedrige Bezahlung genannt, die sei aber für viele nicht ausschlaggebend, so Delißen weiter.
Claus und Brigitte Vorndran, die seit 1999 das Gasthaus Dickas führen, wissen: Arbeiten in der Gastronomie ist kein Zuckerschlecken. Dennoch ist das Berufsfeld in ihren Augen attraktiv, vor allem im Hinblick auf die Perspektiven, die sich nach der Ausbildung eröffnen. „Wer richtig hinlangt, kann durchaus Geld verdienen“, sind sie überzeugt. Wer die Ausbildung abschließt, dem stehe die Welt offen. „Ein guter Koch ist der König.“ Ob die Schweiz oder ein Kreuzfahrtschiff – in welchem anderen Berufsfeld könne man so leicht international tätig sein, fragen sie. „Wer will, kann sich dann später problemlos selbstständig machen.“ Frei werdende Gasthäuser gebe es schließlich zuhauf.
Weisbacher Gasthaus schließt
Auch die bayerische Rhön hat in Kürze einen weiteren Gasthaus-Leerstand zu verzeichnen: Ende Mai schließt der Landgasthof Grüner Baum in Weisbach. Nicht in erster Linie, weil Fachkräfte fehlen, so der 66-jährige Gastronom Günther Erb auf Anfrage, „sondern aus Altersgründen“. Klar, auch in Weisbach fehlten immer mal Küchenhilfen oder Servicekräfte. „Doch wenn Not am Mann war, hat die Familie immer zusammengeholfen“, erklärt er. Seine Kinder allerdings arbeiten alle in anderen Bereichen, und er wolle nicht mehr jeden Tag 16 bis 18 Stunden im Gasthof stehen.
„Den Fachkräftemangel gibt es natürlich“, sagt Matthias Schulze Dieckhoff, gemeinsam mit Ehefrau Christa Inhaber des Biohotels Sturm in Mellrichstadt. Sie erhielten deutlich weniger Bewerbungen als früher, die Schulze Dieckhoffs bilden seit 1976 aus. Dass ihr Haus als Ausbildungsbetrieb nach wie vor gefragt sei, hänge mit der Ausrichtung des Biohotels zusammen und damit, dass im Hotel eben nicht nur abends und am Wochenende, sondern in allen Schichten gearbeitet wird.
Tankgutscheine statt Teildienste
Darüber hinaus hat die Familie an verschiedenen Schrauben gedreht, um die Arbeit attraktiv zu machen. Teildienste – also ein gestückeltes Arbeiten – gebe es so gut wie nicht mehr. Mitarbeiter, vor allem jugendliche Auszubildende, die bis 22 Uhr im Dienst sind, können im Hotel über Nacht Quartier nehmen. Immer wieder einmal gebe es für besonderes Engagement kleine Belohnungen, etwa einen Tankgutschein. Darüber hinaus sucht Schulze Dieckhoff mittlerweile aktiv über Facebook und Twitter nach geeigneten Mitarbeitern.
Ähnlich ist die Situation bei Familie Vorndran in Bischofsheim: Trotz Fachkräftemangel gelang es bislang immer noch, Mitarbeiter für den Betrieb zu rekrutieren. „Fördern und fordern“, lautet ein Grundsatz von Claus Vorndran. Im Zweifelsfall unterstütze er schon einmal den Mitarbeiter-Enkel bei der Suche nach einem Praktikumsplatz. Das Engagement der Familie beim nächsten Engpass ist ihm dafür gewiss.
Wertschätzung der Mitarbeiter
Auch dass die Mitarbeiter geregelte Arbeitszeit haben, ist für die Vorndrans entscheidend. Dazu gehören eben auch freie Wochenenden. Mitunter bedeute das dann auch Einschnitte für den Gast: Spät abends gebe es eben mal keine warme Küche mehr. Sein Laden laufe trotz zweier Ruhetage die Woche, drei Wochen Urlaub im Sommer und einer Woche im Frühling. „Wertschätzung“ seiner Mitarbeiter, ist ein anderes Schlagwort, das er nennt. Die Vorndrans wissen aber auch um ihren guten Standort mitten in Bischofsheim. Abgelegenere, ländlichere Gasthöfe hätten es deutlich schwerer.
Ulrike Meinschäfer vom Jagdschloss Holzberghof an der Hochrhönstraße kann davon ein Lied singen. Ausbilden würde Familie Meinschäfer gerne, derzeit tut sie es aber nicht, denn sie hat keine geeigneten Kandidaten. „Mit öffentlichen Verkehrsmitteln erreicht man uns nicht.“ Weshalb für viele Jugendliche ohne Führerschein der Holzberghof als Ausbildungsbetrieb schon einmal nicht in Frage komme.
Ägyptische Mitarbeiter einfliegen
Ulrike Meinschäfer kann nachvollziehen, dass sich junge Leute Jobs aussuchen, bei denen sie nicht bei oft schlechter Bezahlung abends oder am Wochenende arbeiten müssen. Nach einer Ausbildung im Hotelfach habe ihr älterer Sohn in einem renommierten Haus in Baden-Baden gearbeitet, bevor er „Nie wieder!“ sagte und in den Bereich Informatik wechselte. Er sei nicht der einzige gewesen, der der Gastronomie den Rücken kehrte: „Aus seinem Jahrgang arbeitet mittlerweile kein einziger mehr in der Gastro“, so Ulrike Meinschäfer.
Würde nicht ihr jüngerer Sohn – er ist Koch und arbeitet seit drei Jahren im Holzberghof mit – im Laufe des Jahres das Jagdschloss übernehmen, sie und ihr Mann hätten vermutlich auch schon überlegt aufzuhören, gesteht sie. Einiges habe sie schon versucht, um geeignete Mitarbeiter zu finden. Über ein Praktikum hat sie einen fähigen Flüchtling kennengelernt. Eine Vollzeitstelle sollte der bekommen, doch bevor er sie antreten konnte, kam der Abschiebe-Bescheid.
Dieser Tage geht die Familie Meinschäfer einen völlig neuen Weg – auf den sie überraschend beim Urlaub in Ägypten stieß: Sie fliegt quasi einen Ägypter als Restaurantfachkraft ein. Der Mann, der in Ägypten eine Facharbeiterprüfung bei der IHK Leipzig abgelegt und diverse Deutschkurse besucht hat, arbeitet künftig in der Rhön. Viel Papierkram habe es bedurft, um das umzusetzen. „Ob es klappt, wird man sehen“, ist Meinschäfer zuversichtlich. Angesichts des Facharbeitermangels ist die Familie gewillt, neue unkonventionelle Wege zu gehen.