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MEININGEN: Der Lustfaktor von Sonnenmilch

MEININGEN

Der Lustfaktor von Sonnenmilch

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    Wir erinnern uns also an herzerschütternden Belcanto, an Liebesleid und Liebesfreud und Liebeskitsch in allen Farben und Tönungen der Musik. Gleichzeitig lächeln wir über die bescheidene Geschichte, wohl wissend, dass das richtige Leben anders aussieht.

    Wir nehmen die banale Handlung billigend in Kauf: Unglücklich verliebter, etwas tölpelhafter junger Landmann, kokette und freiheitsliebende Angebetete, ein eingebildeter Schürzenjäger und ein geschäftstüchtiger Wunderdoktor, der das von Langeweile bedrohte Triebleben mit Verschlagenheit und einem angeblichen Zaubertrank aufmischt. Schließlich das Happy End, bei dem sofort abgeblendet wird, bevor man sich als Zuschauer fragt, ob hier wirklich die wahre Liebe im Spiel ist oder doch eher der plötzliche Reichtum des Helden.

    Schön und stimmgewaltig

    In der Meininger Inszenierung von Petra Luisa Meyer – in souveräner musikalischer Leitung von Stefanos Tsialis – haben wir den gewünschten Belcanto, wie er im Ohr klingen soll: eine fantastisch singende, bildhübsche Maria Rosendorfsky als Adina, ein wandlungsfähiger Erwin Belakowitsch als Frauenheld Belcore und ein stimmgewaltiger und oberkomödiantischer Jörn E. Werner als Wunderdoktor Dulcamara. Dazu noch der bedauernswerte Nemorino.

    In der dritten Vorstellung am vergangenen Samstag gab es – aus Not geboren – eine denkwürdige Umbesetzung. Für den erkrankten Joel Montero sprang der brasilianische Tenor Iago Ramos (vom Theater Magdeburg) ein. Der bereicherte den deutschen Gesang durch den italienischen Originalton. In seiner kräftigen, leidenschaftlichen Stimme klingt so etwas mit wie ein Echo aus einer sehnsüchtig-sanften südlichen Sangeswelt, die wir so in deutschen Sprachgefilden nicht finden. Da gab es dann Augenblicke, in denen man sich fragte: „Wozu brauchen wir eigentlich den ganzen Firlefanz rund um die Stimmen? Wir befinden uns doch nicht in einem tiefgründigen Essay über menschliche Makel.“

    Der italienische Gesang von Iago Ramos macht unseren Helden zum Gastarbeiter im eigenen Land. Und genau hier spüren wir das Reißen im Gemüt. Die Regisseurin und ihr Team (Bühne: Matthias Schaller, Kostüme: Susanne Füller, Chor: Sierd Quarré) setzen die Handlung von einem italienischen Dorf des 19. Jahrhunderts in ein italienisches Strandhotel der Gegenwart.

    Hemmungslose Paare

    Was dort passiert, ist alles andere als gepflegter Viereinhalb-Sterne-Tourismus. Da schmusen und grapschen die Pärchen in wechselnder Konstellation hemmungslos nächtens auf der Theke der Bar. Da wird gesoffen und gefressen. Da wird skrupellos ein ganzes Bataillon weißer Plastikliegestühle in Reih und Glied gebracht, um das tägliche Pauschaltouristensonnenbad zu absolvieren, Handys werden massenweise gezückt und Sonnenmilchspraydosen sprühen.

    Unser liebestoller Held und Oberkellner ist zu allem Übel ein kleiner Voyeur, der seine Badeanzug-Aphrodite mit dem Camcorder verfolgt, um die Szenen anschließend auf Großleinwand im Speisesaal zu projizieren. Und der Wunderdoktor scheint ein naher Verwandter des Transvestiten Dr. Frank N. Furter aus der „Rocky Horror Show“.

    Das kommt uns alles sehr bekannt vor. Wenn ein Theaterregisseur den Zeitgeist bemühen will, dann setzt er auf allseits beliebte Ikonen des modernen Lebens. In diesem Fall sind es ungezählte Accessoires aus allen Ecken und Enden des Alltags. Die Requisite jedenfalls dürfte stressige Tage hinter sich haben: Von der einzelnen Spaghettinudel bis zum Kontigent an blauen Badetüchern (der Restschnee aus der Mausefallen-Inszenierung darf auch noch in die offene Szene gekippt werden) findet sich alles, was sich das Hirn an griffiger Symbolik zum Thema vorstellt.

    „Okay“, könnte man nun sagen, „eine eigenwillige Version von Regietheater. Hier wird schließlich knallhart ironisch Gesellschaftskritik geleistet, zudem noch in neudeutscher Übersetzung von Michael Kraus. Kein Typ eignet sich als Sympathieträger.“ Ja, wenn‘s denn so wäre! Die Verhaltensauffälligkeiten seichteln jedoch zweieinhalb Stunden vor sich hin und erscheinen nur als schmückendes Beiwerk von dünner Handlung und schönem Gesang. Ironie und Sarkasmus wirken wie modischer Schnickschnack in einer Welt aus Oberfläche.

    Für Lacher ist gesorgt

    Keine Frage: Alles ist flott inszeniert und soll damit wohl besonders ein opernfernes, jugendliches Publikum verführen. Für Lacher ist gesorgt. Neben einer Unmenge Gags gibt es allerdings auch wunderschöne kongeniale Verknüpfungen von Musik, Gesang und Bewegung. Aber die Personen bleiben eigentümlich hohl. Trotz viel nackter Haut: Der Lustfaktor erreicht nicht einmal das Niveau des Schutzfaktors der Sonnenmilch.

    Die Charaktere – besonders die Nebenfiguren – werden benützt, treten ins Rampenlicht, singen und/oder mimen, treten zurück und sind eigentlich schon wieder vergessen, bevor sie überhaupt lebendig werden. Ein Hauch von nonchalanter Gleichgültigkeit über allem. Und dennoch: überschwänglicher Applaus am Ende. Vielleicht gerade deshalb, weil diese italienischen Opern einfach nicht kaputtzukriegen sind, solange kleine Pavarottis, Villazóns und Netrebkos in uns und auf der Bühne herumgeistern.

    Nächste Vorstellungen: 29. Mai und 7. Juni, jeweils 19.30 Uhr; 22. Juni, 15 Uhr. Karten unter Tel. (0 36 93) 451 222 oder 451 137. www.das-meininger-theater.de

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