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RHÖN: Der Mann in der Wand

RHÖN

Der Mann in der Wand

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    Traumhaft auch am Boden: man muss nicht unbedingt in die Wand klettern um herrliche Panoramen zu genießen.
    Traumhaft auch am Boden: man muss nicht unbedingt in die Wand klettern um herrliche Panoramen zu genießen.

    Unvermittelt ragen sie in den Himmel. Bis zu 20 Meter hohe, graue Granitsäulen, kühler Fels. Unter den Fingern fühlt man jede Maserung. Das rote Seil gibt die Route vor, nur wo festhalten? Wohin mit den Kletterschuhen treten? An einer Kante findet die rechte Hand Halt, auf Kniehöhe links lässt sich der Fuß auf einen winzigen Vorsprung stellen. Tastend, suchend, probierend, geht es Stück für Stück nach oben. Zu hören ist nur das Karabinerklappern und das eigene Schnaufen. Noch ein Zug aus dem Schatten über den letzten Überhang, dann ist die erste Route an einer Felswand geklettert. Das Herz klopft, die Knie zittern, aber der Gipfel der Steinwand in der Rhön ist erreicht.

    Oben im Sonnenlicht auf dem Plateau steht Rainer Griebel, der den ersten Felsaufstieg gesichert hat. Der Extremalpinist und Expeditionsleiter bestieg selbst weltweit über 100 Gipfel über 4000 Meter Höhe. Bilder von Touren zum Nanga Parbat und Erstbesteigungen in den Alpen hängen in seinem Büro. Das Leben als Leistungssportler hat er heute hinter sich gelassen, stattdessen kümmert er sich um seine 1986 eröffnete Bergsportschule in Poppenhausen in der Rhön.

    Hinter dem Ort geht die Straße schmal und kurvig hinauf, links und rechts grasen braun-weiß gescheckte Kühe auf den Wiesen. Nach knapp drei Kilometern biegt Griebels schwarzer Porsche auf einen Waldparkplatz ein: sein „Hausgelände“, die Steinwand, ist erreicht. Die imposanten Phonolitfelsen hat der gebürtige Fuldaer mit ein paar Freunden Ende der 70er Jahre erschlossen, damals, als „hier noch keiner geklettert ist“. Mit teilweise selbst geschmiedeten Haken haben sie probiert, Routen in der glatten Wand gesucht, denn: „Klettern ist Bewegung, die Auseinandersetzung mit dem Fels“, sagt Griebel.

    Heute sind die Felsen der Steinwand der bedeutendste Klettergarten der Rhön. Knapp 130 Routen in allen Schwierigkeitsgraden verteilen sich auf die 100 Meter lange, fast senkrecht aufragende Wand. Das lockt neben den „alten Cracks“, die hier seit Jahren trainieren, verstärkt junge Kletterer. „Bei schönem Wetter kommen an den Wochenenden mittlerweile an die Hundert Hallenkletterer mit Picknickkorb und Isomatten“, sagt Griebel. Mit dem Kletterhallenboom steigt die Anzahl der Kletterer, für die das alpine Erlebnis und die Bewältigung schwieriger Routen im Vorstieg längst nicht mehr Ziel ist. Es geht um Spaß, oft auch um den „Eventcharakter, das Abenteuer“, sagt Griebel. Das Klettern an der Naturwand nimmt nur dort zu, wo die Leute in der Lage sind ein Seil einzuhängen. Das ist an der Steinwand über die flach abfallende Nordwestseite möglich, auch Anfänger können Toprope (sprich am eingehängten Seil mit geringer Sturzgefahr) klettern. „Aber was das eigentliche Klettern ausmacht, die mentale Beschäftigung mit der Wand, der eigenen Person und der Angst, ist so nicht erfahrbar“, sagt Griebel. Dennoch: Wer aus der Halle kommt, für den bedeutet die Steinwand in jeder Begehungsform eine Herausforderung.

    An der Felskante stehend, fühlt man den Respekt vor der Wand, vor der Höhe. Statt nur bis zur nächsten Hallenwand reicht der Blick über Poppenhausen bis zum Fuldatal. Mit den Füßen am äußersten Rand des Plateaus lehnt man sich mit gestreckten Beinen weit nach hinten in die Sicherung – ohne Vertrauen in den Seilpartner unmöglich. Dann rutschen die Schuhe ab, am Seil schwebend geht es nach unten, zum Startpunkt der nächsten Route. Ein Grad schwerer, drei kleine Überhänge warten. An der Steinwand haben die Basaltwände nur eine geringe Struktur, geklettert wird in Rissen oder Verschneidungen. Mit jedem Höhenmeter steigt das Selbstbewusstsein, die Finger finden immer schneller Ecken und Kanten zum festhalten und nach wenigen Minuten in der Wand, in denen die Zeit völlig stillzustehen schien, steht man erneut auf dem Gipfel.

    Respekt vor der Wand

    „Wer gut werden will, muss im Fels klettern und vor allem in verschiedenen Formationen“, sagt Griebel. In der Halle fällt vieles leichter, die bunten Griffe geben die Route vor. Am Fels muss der Kletterer probieren, es gibt endlose Möglichkeiten. Griebel selbst hat die großen Wände von Eiger Nordwand bis zur Nordwand der Großen Zinne alle erstiegen. Nach einem schweren Unfall lag er im Koma, zwei Jahre dauerte es, bis er wieder gehen und trainieren konnte. Der Leistungssport, „das war unser früheres Leben“. Uns, damit meint Griebel sich und seine zweite Frau und langjährige Kletterpartnerin Uschi Griebel. Die beiden lernten sich in Griebels „bürgerlicher“ Zeit als Lehrer an der katholischen Mädchenschule in Fulda kennen und bestiegen gemeinsam unzählige Gipfel weltweit bis zum Himalaya. „Dort lernt man eine ganz andere Denkform entrückt von Zeit, man wird ruhig“, sagt Griebel. Und: „Klettern kann einen Menschen festigen, in jeder Beziehung.“ Auch wenn die Beziehung zu Uschi Griebel irgendwann zerbrach, leiten beide bis heute gemeinsam die Bergsportschule in Poppenhausen. Neben dem „seriösen Bereich“, wie Griebel die originäre Kletterausbildung nennt, bieten sie auch Erlebnistouren oder Abenteuer-Wochenenden an. Denn „Klettergärten werden vom alpinen Trainingsgelände immer mehr zu einer Spiel- und Funwiese“, sagt Griebel. Ein Trend, der Geld bringt, der aber nichts mehr mit dem originären Bergsport gemeinsam hat. Und der bei Überschätzung leicht gefährlich werden kann. Etwa 50 Unfälle mit Hubschraubereinsatz passieren an der Steinwand im Jahr, die meisten allerdings im rutschigen Blockgelände vor der Wand.

    Während die Schatten der Basaltsäulen länger werden, bereitet Rainer Griebel den letzten Aufstieg des Nachmittags vor. Eine Route im fünften Grad, laut Kletterführer trägt sie den Namen „Vergissmeinnicht“. Immer dem Riss folgend klettert man 15 Meter senkrecht nach oben. Ein letzter Zug, das linke Bein nach oben, das Plateau ist erreicht. Auf dem Gipfel der Steinwand wird klar: Klettern in der Halle ist ein Spiel, am Fels ist es ein Erlebnis.

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