(new) Als Landgerichtspräsident Ernst Wich-Knoten Bad Neustadts Amtsgerichtsdirektor Reiner Lenz die Ernennungsurkunde als Direktor für das Amtsgericht Gemünden verlieh, hatte er die unterfränkische Justiz als Ganzes im Blick, der mit diesem Schritt durchaus gedient sei. Bewusst war ihm aber durchaus, dass es bei den beiden Behörden einen Gewinner und einen Verlierer gibt: Gemünden wird profitieren, während Bad Neustadt um einen versierten Juristen und eine geschätzte Persönlichkeit ärmer wird.
Folglich herrscht am Amtsgericht Bad Neustadt in diesen letzten Tagen bis zum Wechsel am 1. Juni auch Abschiedsstimmung. Lenz selber sagt beim Rückblick auf die vergangenen knapp zehn Jahre, dass er sich im Team des kleinen Amtsgerichts unheimlich wohlgefühlt habe. Hier sei man auf den Zusammenhalt angewiesen und auf den habe er zählen können. Seine Mitarbeiter hätten persönliches Engagement gezeigt und mitgedacht. Vermissen werde er vor allem den offenen und ehrlichen Umgang miteinander.
Ein Kompliment macht Lenz auch der hiesigen Anwaltschaft: „Die würde ich gerne mit nach Gemünden nehmen.“ Denn man habe zwar manchmal in der Sache hart gerungen, aber die Person sei nie angetastet worden. Ebenfalls gut gewesen sei das Verhältnis zur Polizei. Um beispielsweise den Aufenthaltsort eines Delinquenten zu ermitteln, habe man den direkten Weg beschreiten können – ohne den sonst üblichen bürokratischen Umweg über die Staatsanwaltschaft Schweinfurt.
Innere Einstellung
Möchte man das Besondere am Wirken von Reiner Lenz beschreiben, gilt es in erster Linie seine Fairness zu nennen. Jeder, der in den vergangenen zehn Jahren in Bad Neustadt vor den Schranken des Gerichts stand, konnte mit einem fairen Verfahren rechnen, wenn es von Lenz geleitet wurde, ganz gleich ob als Einzelrichter oder Vorsitzender Richter des Jugend- oder Erwachsenenschöffengerichts. Selbst wenn der Angeklagte zum wiederholten Mal vor dem Richterstuhl saß, bemühte sich Lenz um eine innere Einstellung, die bei Null anfängt, die Vorgeschichte also draußen lässt.
Es ist bezeichnend für Lenz, dass er sich selber fragt, ob er etwas falsch gemacht hat, wenn ein Angeklagter erneut vor ihm steht. Denn bei seinen Urteilen setzt er vor allem im Jugendbereich auf den Erziehungscharakter und hofft, dass das Verfahren und sein Ausgang ein Anlass zum Umdenken sind. Helfend eingreifen möchte er auch, wenn es um Betäubungsmittel geht, wobei ihm die Differenzierung zwischen Abhängigen und Dealern von einiger Bedeutung ist.
Mit welchem Augenmaß Lenz seine Urteile fällt, dafür dürfte unter anderem sprechen, dass nur selten jemand in die Berufung gegangen ist – mit dem Ergebnis, dass das Bad Neustädter Urteil in aller Regel bestätigt wurde.
Auf die Frage, wie es ihm gelingt, mit den menschlichen Nöten, die in einem Verfahren zutage treten, umzugehen, antwortet Lenz: „Das ist wie bei einem Arzt, der eine Operation vor sich hat. Er konzentriert sich nur darauf und blendet alles andere aus.“
Gravierende Fälle
Und trotzdem kann er die Schicksale und die Weichen, die ein Urteil mitunter stellen muss, nicht einfach abstreifen. Die beschäftigen ihn manchmal über Jahre hinweg. Tragisches Unfallgeschehen bleibt im Gedächtnis, der Unfall im September 2006 bei Bischofsheim mit vier getöteten jungen Leuten und der Unfall an der Abzweigung der B 279 neu bei Heustreu mit zwei Toten und schwersten Folgen für den Fahrer selber gehören zu den gravierendsten Fällen.
Von Schwere spricht der Juristen dabei aber nicht, da es sich um Fahrlässigkeit handelte. Schwere siedelt er in einigen Fällen von sexuellem Missbrauch an. Beim allgemeinen Blick auf die Straftaten stellt er fest, dass Körperverletzungen inzwischen eine andere Qualität bekommen haben. Sie sind brutaler geworden.
Die Anwesenheit der Presse im Gerichtssaal nimmt Lenz gelassen, er sieht sie so positiv, wie sie vom Ansatz her gedacht ist. Allerdings empfindet er mit den Verfahrensbeteiligten manchmal Mitgefühl, für sie könne der Gedanke an die Öffentlichkeit die Aussage sehr schwierig machen.
Auf den gesunden Menschenverstand der Schöffen, die er erstmals als Vorsitzender des Schöffenwahlausschusses kennengelernt hat, legt Lenz allergrößten Wert. Mit seinen Laienrichtern hat er beste Erfahrungen gemacht, korrekt wie er ist, verrät er nicht mehr, denn das fällt unters Beratungsgeheimnis.
Ins öffentliche Bad Neustädter Leben war Lenz noch als Mitglied des Jugendhilfeausschusses eingebunden.
Abschalten vom juristischen Alltag kann Lenz in seiner Familie, bei seiner Frau und den drei Söhnen. Eigentlich hat er immer viel Sport getrieben, jetzt hat sich das ein wenig verlagert: Er ist Vorsitzender des FC Geldersheim.