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FLADUNGEN: Der Stammtisch der Klassenfeinde

FLADUNGEN

Der Stammtisch der Klassenfeinde

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    Ost-West-Begegnung: Zwei Grenzaufklärer der DDR im Gespräch mit einem Zöllner und einem amerikanischen Soldaten an der ehemaligen Grenzsperre zwischen Melpers und Oberfladungen fotografierte Bernhard Seifert aus Fladungen vor 20 Jahren.
    Ost-West-Begegnung: Zwei Grenzaufklärer der DDR im Gespräch mit einem Zöllner und einem amerikanischen Soldaten an der ehemaligen Grenzsperre zwischen Melpers und Oberfladungen fotografierte Bernhard Seifert aus Fladungen vor 20 Jahren. Foto: FOTO Bernhard Seifert

    Mitte Oktober, im Eisenacher Haus bei Frankenheim (Thüringen). Sechs Männer sitzen in geselliger Runde beisammen, man unterhält sich angeregt. Es wird in Erinnerungen geschwelgt und auch gelacht. Augenscheinlich ein Stammtisch wie jeder andere. An diesem Tisch aber sitzen lauter ehemalige Staatsbedienstete, die ohne Mauerfall nie zueinander gefunden hätten: Zöllner und Grenzpolizisten aus Bayern, Soldaten und Volkspolizisten aus der früheren DDR.

    Nach vielen Jahren haben sie wieder einmal zusammengefunden. Erst haben sie eine Ausstellung im Fladunger Freilandmuseum besucht, dann sind sie im einige Kilometer entfernten Eisenacher Haus zum gemütlichen Teil übergegangen.

    „Ein Treffen ehemaliger Klassenfeinde“, scherzt Rainhardt Rabe. Der Hauptkommissar ist Polizeichef im Kreis Hildburghausen. Rabe trug auch vor 20 Jahren schon Uniform – damals war der heute 55-Jährige Stabschef des Volkspolizeikreisamts in Meiningen.

    „Wir alle hatten unmittelbar mit der Grenzöffnung zu tun“, beginnt Rabe mit der Geschichte, wie sich die einst von Amts wegen verfeindeten Kollegen aus Ost und West kennenlernten. Mit einem Mal war der Eiserne Vorhang durchlässig geworden, und die Staatsdiener auf beiden Seiten der Übergangsstelle Eußenhausen-Henneberg wurden mit Situationen konfrontiert, die keiner auf der Rechnung hatte – geschweige denn, dass dazu Vorschriften existierten.

    Trabis nicht wintertauglich

    „Aber es gab viele Berührungspunkte“, so der Polizeibeamte aus Thüringen. Und viel zu klären. Also gab es erste zaghafte Kontaktaufnahmen, um die Dinge zu regeln. „Doch die Telefonverbindungen waren schlecht, und Funk war nicht möglich“, erinnert sich Rabe.

    So kam es zur ersten persönlichen Begegnung der Verantwortlichen aus Ost und West direkt auf der Grenzlinie. „Wir haben uns wegen 'verkehrsrechtlicher Maßnahmen' getroffen“, erzählt Bertold Braun. Der ehemalige Chef der Grenzpolizeiinspektion Mellrichstadt betont diesen Begriff aus der Amtssprache besonders, und er schmunzelt dabei: „Na ja, die Ausdrucksweise war ja doch ein bisschen anders.“

    Im Grunde ging es darum: Viele Trabis, mit denen die Thüringer zum Schnupperbesuch nach Rhön-Grabfeld kamen, hatten keine Winterreifen. Und als die Straßen glatt geworden waren, blieb so mancher auf der Rückfahrt in den Osten zwischen Eußenhausen und Schanz am Berg stecken – die Folge war ein Verkehrschaos. Mit seinem Gegenüber, Oberstleutnant Siegfried Hahmann von den DDR-Grenztruppen, vereinbarte Braun dann, dass die Ost-Kollegen vor der Ausreise erst einmal einen Blick auf das Reifenprofil der Pkw werfen.

    Per Du

    Schon kurze Zeit nach dem 9. November wurden neue deutsch-deutsche Übergänge eröffnet, etwa der in Oberfladungen, und die Grenzer-Treffen wurden zur Routine. „Bald waren es freundschaftliche Begegnungen“, erzählt der Thüringer Rabe. „Irgendwann war man per Du“, erinnert sich der Unterfranke Braun.

    Der pensionierte Beamte aus Stockheim hatte sich das früher nie vorstellen können. Seit 1974 war Braun bei der Grenzpolizei. Begegnungen auf Streife, bei denen man sich mit den Ost-„Kollegen“ hätte unterhalten können, gab es durchaus. Doch: „Die haben keinen Ton geredet. Das war undenkbar“, so Braun.

    Doch Monate nach dem 9. November waren dienstliche Ost-West-Besprechungen längst Normalität. An Ostern 1990 unternahmen die beiden Vorgesetzten Braun und Rabe zum ersten Mal eine gemeinsame Patrouille entlang der Grenze. „Da war schon abzusehen, dass das wieder zusammenwächst“, sagt Rabe.

    Im Laufe der Zeit traf man sich auch außerdienstlich. „Das hat sich dann in den privaten Bereich verlagert“, erzählt der Polizeibeamte. Und irgendwann kam es zum ersten Kreuzbergbesuch.

    Spätestens bei der Wiedervereinigung im Oktober 1990 hatten die Grenzbeamten und -soldaten auf beiden Seiten ihre Pflicht getan. Doch aus den Augen verloren sich die Kollegen nicht. „Wir könnten uns doch mal wieder treffen“, hieß es bald. Dabei ist es bis heute geblieben.

    „Es sind auch richtige Freundschaften entstanden“, weiß Peter Lommel. Der Altbürgermeister von Bischofsheim gehört ebenfalls zu der Gruppe. „Die Leute von drüben waren ja in ihrem System gefangen“, so der frühere Grenzpolizist. Doch die Kollegen aus Ost und West seien sich menschlich nähergekommen. „Das ist der Gewinn“, sagt Lommel.

    Online-Tipp

    Alle Artikel der Serie zur Grenzöffnung im Internet unter: www.mainpost.de/geschichte

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