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BAD NEUSTADT: Die Nazis und ein skandalöser Prozess

BAD NEUSTADT

Die Nazis und ein skandalöser Prozess

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    Erfolgreiche Heimatforscher: Mit dem skandalösen Mordprozess von Waltershausen in der Nazizeit beschäftigen sich Schüler der Bad Neustädter Wirtschaftsschule. Für ihre Arbeit erhielten sie nun einen Anerkennungspreis der Hamburger Körber-Stiftung. Klassenlehrerin Ulrike Schauderna (hinten Mitte) freut sich mit ihren Schülern.
    Erfolgreiche Heimatforscher: Mit dem skandalösen Mordprozess von Waltershausen in der Nazizeit beschäftigen sich Schüler der Bad Neustädter Wirtschaftsschule. Für ihre Arbeit erhielten sie nun einen Anerkennungspreis der Hamburger Körber-Stiftung. Klassenlehrerin Ulrike Schauderna (hinten Mitte) freut sich mit ihren Schülern. Foto: Foto: Gerhard Fischer

    Ein Knall durchbricht die Nacht des 1. Dezember 1932 in Waltershausen im Milzgrund. Schreie sind zu hören. Wenige Stunden später bricht der Hausherr des Schlosses von Waltershausen, Waldemar Werther, tot zusammen. Als „Mord von Waltershausen“ wird die Bluttat Justizgeschichte schreiben.

    Denn der Prozess, der um den bis heute ungeklärten Mord geführt wurde, ist bis heute ein Skandal. Nach allem, was die Forschung weiß, ging es nicht um die Wahrheitsfindung bei diesem Mord, in den auch ein nationalsozialistischer Gärtner verwickelt war. Es ging wohl zu allererst um Antisemitismus und darum, dass das Recht auf Seiten nationalsozialistisch gesinnter Menschen bleiben sollte.

    Was in den Tagen des Prozesses die Schaulustigen zu Hunderten an das Schweinfurter Gericht lockte und die Medien zu Dutzenden, stößt auch heute noch auf großes Interesse. Eine Projektgruppe der Bad Neustädter Wirtschaftsschule befasste sich mit diesem geschichtsträchtigen Skandal, der sozusagen vor der Haustüre lag, und schrieb eine Arbeit darüber. Sie wurde dieser Tage von der Hamburger Körber-Stiftung mit einem Förderpreis ausgezeichnet.

    „Das Thema lautete Skandale. Dabei musste ein regionaler Bezug bestehen. Kreisarchivpfleger Reinhold Albert hatte uns den Tipp mit Waltershausen gegeben“, erklärt Lehrerin Ulrike Schauderna. Zwölf Schülerinnen und Schüler der Klassen 10a und 10c haben sich dabei mit dem Mordfall im Milzgrund ausgiebig befasst.

    Waldemar und Wilhelmine Werther waren die Besitzer des Waltershäuser Schlosses, das verarmte Ehepaar hatte sich im Lauf der Jahre auseinandergelebt. Dazu gehörte der Bedienstete, Chauffeur und Gärtner Karl Liebig, ein NSDAP-Mitglied, dem aber kurz vor dem Mord gekündigt worden war. In der Mordnacht wurde Wilhelmine Werther vom um sich schießenden Gärtner verletzt. Der Mord erregte seinerzeit sensationelles Aufsehen in ganz Franken und darüber hinaus. Die Frage war zu klären, ob es ein Mord aus Rache war oder der Tathintergrund im Familiären zu suchen sei, auch ein Selbstmord kam in Frage. Verdächtig waren abwechselnd der Gärtner und Frau Werther selbst.

    Die Prozessbeschreibung liest sich insgesamt sehr kompliziert. Das Skandalöse an dem Verfahren ist, wie sehr der erstarkende Nationalsozialismus den Prozess für seine Sache nutzen wollte. Denn die Verteidigung der verdächtigten Witwe hatten angesehene, aber jüdische Rechtsanwälte übernommen. Der Pflichtverteidiger des Gärtners Karl Liebig war der Bad Kissinger Rechtsanwalt Hans Peter Deeg.

    Er war ein glühender Anhänger der Nationalsozialisten, schrieb im Stürmer-Verlag judenfeindliche Schriften. Nach dem Krieg machte er in der Kurstadt Karriere, war Gründer der Degenberg-Klinik und in die berühmte Spiegel-Affäre der 60er Jahre verwickelt. Durch seine guten Verbindungen zu Franz-Josef Strauß hat er als CSU-Mitglied profitiert und wurde Generalbevollmächtigter der italienischen Rüstungsfirma Simmel.

    „Wir stellten fest, dass nicht der Mord der Skandal war, sondern der danach folgende Prozess und die Nachkriegskarriere des Herrn Deeg“, formuliert es einer der Schüler in der Arbeit.

    Deeg polemisierte in dem Waltershausen-Prozess gegen die jüdische Herkunft der Verteidiger und stellt Liebig als wackeren SA-Kämpfer dar. Entsprechend macht auch die nationalsozialistische Presse Stimmung für den Gärtner.

    Der jüdische Schweinfurter Rechtsanwalt Dr. Moses Hommel und aktive Nazigegner bekam als einer der Verteidiger den Hass der Nazis zu spüren, Steine landeten in seinem Schlafzimmer. Moses Hommel und sein Schwiegersohn Salomon Mendle, ebenfalls Verteidiger von Wilhelmine Werther, ertrugen die Anfeindungen nicht lange und wanderten kurze Zeit später nach Palästina aus. Mendles Enkeltochter Rosi Ruth Labo, die noch heute in Haifa lebt, ist die Arbeit der Bad Neustädter Wirtschaftsschüler gewidmet, sie hat auch ein fertiges Exemplar erhalten.

    „Es war anstrengend, die vielen Zeitungsberichte durchzuforsten, aber es war auch sehr interessant“, spricht Annette Lang für ihre Kolleginnen und Kollegen. Immerhin haben sie sich ein halbes Jahr lang einmal in der Woche Nachmittags zusammengefunden, um das Thema zu bearbeiten, dabei haben sich kleine Teams jeweils um eine der beteiligten Personen gekümmert und ihren Lebensweg nachgezeichnet. Natürlich besichtigten die Schülerinnen und Schüler das Schloss Waltershausen und konnten den damaligen Tatort einsehen. dieser Teil der Recherche war einer der spannendsten.

    „Es war interessant mitzukriegen, was damals passiert ist, und dass so etwas auch hier passieren konnte, nicht nur in irgendeiner Großstadt“, meint auch Christian Albert, einer der Autoren der Arbeit. Er und seine Kollegen haben jetzt jedenfalls Kenntnisse, die nur noch wenige haben: Sie können Frakturschrift lesen.

    Für die Wirtschaftsschule ist es nicht der erste Erfolg. Schon mehrmals haben Schüler aus Bad Neustadt an dem Wettbewerb teilgenommen und konnten Auszeichnungen erringen.

    ONLINE-TIPP

    Hintergründe zu dem Mordfall in Waltershausen: www.waltershausen-grabfeld.de

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