Icon Menü
Icon Schließen schliessen
Startseite
Icon Pfeil nach unten
Rhön-Grabfeld
Icon Pfeil nach unten
Mellrichstadt
Icon Pfeil nach unten

MELLRICHSTADT/EUßENHAUSEN: Die schlimme Not der Hungerjahre 1816/17

MELLRICHSTADT/EUßENHAUSEN

Die schlimme Not der Hungerjahre 1816/17

    • |
    • |
    Die von den Eußenhäuser Gartenfreunden aufgestellten Bänke am Galtenturm reichten nicht aus, flugs wurden weitere Sitzmöglichkeiten aufgestellt. Der Ansturm auf Rudolf Mauders Lesung über die Hungerjahre 1816 und 1817 am Beispiel von Nordheim bewegte die Zuhörer.
    Die von den Eußenhäuser Gartenfreunden aufgestellten Bänke am Galtenturm reichten nicht aus, flugs wurden weitere Sitzmöglichkeiten aufgestellt. Der Ansturm auf Rudolf Mauders Lesung über die Hungerjahre 1816 und 1817 am Beispiel von Nordheim bewegte die Zuhörer. Foto: Foto: Fred Rautenberg

    Zufriedene Gesichter gab es auf der einen Seite, betroffene auf der anderen. Zufrieden waren Rudolf Mauder sowie Peter Kirchner und seine Freunde vom Obst- und Gartenbauverein Eußenhausen, denn nach zwei wetterbedingten Absagen saß der Leiter des Heimatmuseums Salzhaus nun doch am Mittwoch als Vorleser am Galgenturm vor zahlreichen Zuhörern. Betroffen machte die Leute, was sie hörten: die schlimmen Details über die große Hungersnot in den Jahren 1816 und 1817.

    Viele Zuhörer

    Peter Kirchner, Vorsitzender der Eußenhäuser Gartenfreunde, hatte an dem an sich schon idyllischen Ort mit Blumen und Lichtern auf der Turmmauer für stimmungsvolles Ambiente gesorgt. Die Vereinsleute hatten zahlreiche Sitzbänke um den Lesetisch aufgestellt, dazu versorgten sie die Gäste mit Sandwiches, Knackern, Schmalzbroten und erfrischen Getränken.

    Am Fettbrot kauend, fiel es den Gästen zunächst schwer, an Zeiten voller Not und Tod zu denken. Wirklichen Hunger, wie ihn Georg Trost in einer Erzählung schilderte, müssen wir Gottlob nicht leiden, sagte Rudolf Mauder einleitend. Diese Erzählung mit dem Titel „Wende von uns Hungersnot!“ des Rhönautors Trost (1906-1968) las Mauder dann vor, um seinen Zuhörern eine Vorstellung von dem Elend der Hungerjahre 1816 und 1817 zu geben.

    Die Erzählung ist in Nordheim angesiedelt, aber so, wie in dieser Gemeinde vor der Rhön sei es überall in ganz Deutschland gewesen, erläuterte Mauder. Trost erzählt von einem Bauern-Ehepaar, das offenbar nicht so schrecklich unter dem Hunger leiden musste, sondern in menschlicher Mildtätigkeit anderen half, so gut es konnte – besonders einem Bub, der von anderen Kindern im Kampf um erbettelte Lebensmittel fast erschlagen worden wäre.

    Noch schockierender für die Bäuerin Monika Schloth und ihren Mann Peter war die Erzählung einer bettelnden Frau aus dem 15 Kilometer entfernten Frankenheim: Längst hatten die Hungerleidenden alle Hunde und Katzen aufgegessen, mit Löwenzahn, Wurzeln, Buchenlaub und sogar Gras und Baumrinde hatten sie versucht, ihren Hunger zu stillen. Die Sterblichkeit war sprunghaft angestiegen, besonders unter den Säuglingen. Habgierige und Wucherer nutzten schamlos die Not der Armen aus, sogen diesen „mit Arbeit das Mark aus den Knochen“, nahmen das letzte Geld, den letzten Besitz und verlangten auch Geschlechtsverkehr für etwas Essbares.

    „Ein Jahr hatte Gottes Hand schwer auf den Menschen der Rhön gelegen“, schloss Trost seine Erzählung, in der die Menschen in Gottergebenheit die Notzeit durchlitten. Nach den Ursachen fragten sie und auch der Autor nicht. Doch das tat Rudolf Mauder, und die Information darüber machte den zweiten Teil seiner Lesung am Galgenturm aus.

    Unmittelbare Ursache für die Hungersnot war die Missernte im Jahr 1816, verursacht durch einen katastrophal verregneten Sommer. Die Feldfrüchte verfaulten auf den Feldern. Was Wachstum ansetzte, wurde von den Schnecken gefressen. Getreide und damit Brot, aber auch andere Feldfrüchte, wurden zwei bis dreimal so teuer wie zuvor, unerschwinglich für die armen Rhöner, die ohnehin schon immer von der Hand in den Mund gelebt hatten.

    Mauder berichtete von hilflosen Gegenmaßnahmen, auch von der königlich-bayerischen Regierung damals, aber das war allenfalls ein Tropfen auf den heißen Stein oder diente, wie der staatlich für den 18. August 1816 in ganz Bayern angeordnete Bittgottesdienst, allenfalls der Beschwichtigung der Bevölkerung. Das Elend trat mit aller Schärfe im Frühjahr und Sommer 1817 auf, denn da waren die letzten Reserven verbraucht. Obwohl das Klima offenbar wieder besser war, mussten die Menschen doch die Zeit bis zur nächsten Ernte überstehen, und die war nach Berichten aus der damaligen Zeit auch nicht so reichlich, wie es notwendig gewesen wäre.

    Die eigentliche Ursache für die Not war eine Naturkatastrophe auf der anderen Seite der Erdkugel. Im April 1815 war der Vulkan Tambora auf der indonesischen Insel Sumbawa explodiert und hatte unglaubliche 150 Kubik-Kilometer Staub bis hinauf in die Stratosphäre geschleudert. Dort verteilte es sich und kreiste jahrelang satellitenartig um den Globus. Das Sonnenlicht erreichte nur noch stark gefiltert die Erde, was zu einem Absinken der Durchschnittstemperatur um zwei Grad Celsius und damit zu einem Klima-Umschwung führte.

    Unvorstellbare Menge

    Mauder versuchte, seinen Zuhörern einen Begriff von der ungeheuren Menge des explosionsartig verteilten Materials aus dem Vulkan zu geben: ein Kubik-Kilometer ist ein Volumen von 1000 mal 1000 mal 1000 Meter, also 1 Milliarde Kubikmeter. Die, auf Lkw mit je 20 Tonnen Ladevermögen verteilt, ergäben eine Fahrzeugschlange, die 25-mal um die Erde reichen würde.

    Damit war der Ausbruch des Tambora die größte Katastrophe dieser Art in geschichtlicher Zeit, obwohl es mit dem Ausbruch des Vesuvs, des Krakatau und des Santorin ebenfalls schlimme Katastrophen mit teilweise vergleichbaren Auswirkungen gegeben hatte. Mancher Besucher ging mit einem unguten Gefühl nach Hause: Eine Naturkatastrophe wie 1815 auf Sumbawa kann sich durchaus wiederholen. Ob wir heute auf eine solche Heimsuchung besser vorbereitet wären als die Menschen damals?

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden