Der 1982 im Alter von nur 34 Jahren verstorbene Bildhauer Richard Mühlemeier gehört zu den bedeutenden Künstlern der Rhön im 20. Jahrhundert. Beinahe 30 Jahre nach seinem tragischen Tod würdigt die Kulturagentur Rhön-Grabfeld in Zusammenarbeit mit der Kunsthalle Schweinfurt Mühlemeier in einer großen retrospektivisch angelegten Ausstellung im Kloster Wechterswinkel.
Eine Mühle mit Hof, drei Hektar Weideland, sieben Ar Wald, zwei Hektar Ackerland, mit Wasserrecht, Fischrecht und Jagdrecht. Einen nicht gerade kleinen Grundbesitz nennt man das. Klein ist er jedoch, wenn man diesen Grundbesitz aus dem Blickwinkel des Bildhauers Richard Mühlemeier betrachtet. So klein, dass er in eine Streichholzschachtel passt. Für Richard Mühlemeier war das Große klein und das Kleine groß.
Gegen den Strom geschwommen
Der 1948 in Römershag bei Bad Brückenau Geborene war Bildhauer, Maler, Lehrer an der Holzschnitzschule in Bischofsheim, freischaffender Kopf von Künstlergemeinschaften am Stengerts und in der ehemaligen Brauerei in Roth, Kunstpreisträger und „Gegen-den-Strom-Schwimmer“. Im Kloster Wechterswinkel sind nun seine Hauptwerke zu sehen, darunter auch der 1992 bei der documenta 9 in Kassel gezeigte „Atlas von Atlantis“, eine Klapplandschaft in Buchform, die neben einem an Keilschriften erinnernden Vokabular ein philosophisches Manifest enthält.
Die Idee zu dieser großen Ausstellung hatte Kulturmanagerin Astrid Hedrich-Scherpf. Sie freute sich, dass viele Helfer auf den „Mühlemeier-Zug“ aufgesprungen sind. Weil ihm in Rhöner Kulturkreisen eine geradezu mystische Bewunderung entgegengebracht werde, wie sie bei der Eröffnung der Ausstellung bemerkte.
Der Name Mühlemeier steht für eine Diplomarbeit im Landschaftsformat, passend in einen Diplomatenkoffer, nebst dazu gehörigem Kugelschreiber, oder für einen Schrein, den er für eine verstrahlte Figur schuf im Angesicht der Stationierung von Nuklearwaffen im Deutschland der 1980er Jahre.
Mühlemeier schuf Landschaften zum Zusammenklappen, ein Denkmal des Denkmals, und fügte in seinen Kreuzweg-Zyklus von Lepra zerfressene Gesichter ebenso wie „Hoss“ aus der amerikanischen Fernsehserie Bonanza ein. Die Rede war auch von dem Mühlemeier, der im Blaumann zu einem Empfang beim Ministerpräsidenten Franz-Josef Strauß erschien. Was wäre passiert, wenn dieser Mühlemeier im Juli 1982 nicht aus einer Flasche getrunken hätte, in die eine Wespe hineingeflogen war? Auch diese Frage stand im Raum.
Unerhörte Produktivität
Seiner im vergangenen Jahr verstorbenen Mutter Hedwig ist zu verdanken, dass seine Werke heute noch in so großer Zahl vorhanden sind, dass Briefe, Gussformen, Gipsmodelle und vieles mehr die Zeit überdauert haben. Heute bewahren die Museen und Galerien der Stadt Schweinfurt seinen Nachlass auf und zeigen wichtige Werke in der Kunsthalle. Für die wissenschaftliche Mitarbeiterin Andrea Brandl eine Selbstverständlichkeit: „Die Werksprache von Mühlemeier ist singulär“, sagte sie in ihrer Einführung, und bewunderte die sich verändernden Landschaften des Künstlers ebenso wie seine unterschwellige Kritik des Künstlers am Weltgeschehen.
Martin Herz, ein Freund Mühlemeiers aus gemeinsamen Zivildienstzeiten und heute Soziologe, drückte es in einem leidenschaftlichen und begeisternden Vortrag noch deutlicher aus: „Ohne Utopie und Traumbilder ist Mühlemeier nicht lesbar“, sagte er. Der Freund sprach von der unerhörten Produktivität des Künstlers, von den biografischen Fragmenten seines Lebens, die Martin Herz lieber Passagen nennt.
Die Ausstellung „. . .und dann die Idee und die Sehnsucht noch einmal etwas Ganzes zu schaffen“ ist bis 31. Oktober zu sehen: samstags, sonntags, an Feiertagen von 13 bis 17 Uhr.