Der Fluch des Wirtshaussterbens zieht seit Jahren über das Land und zwingt immer mehr Dorfwirtschaften zum Schließen. Mittlerweile will sogar die Landesregierung gegen diese dramatische Entwicklung vorgehen. Das ist in Wargolshausen nicht nötig. Dort stemmt sich seit genau 20 Jahren Jürgen „Charly“ Gessner als Wirt mit seinem „Dorfstüble“ gegen diesen Trend. Für die dreitägigen Feierlichkeiten von Freitag, 16., bis Sonntag, 18. August, hat er sich einen Traum erfüllt.
Wenn es schon spät in der Kneipe ist, der Stammtisch die politischen Diskussionen beendet und die Küche schon lange geschlossen hat, dann schallt im Dorfstüble Wargolshausen oft ein bestimmtes Lied aus den Kehlen der Gäste. Sie singen voller Inbrunst und Stolz den Refrain des „Rauchhaus-Songs“ von Ton Steine Scherben aus den 70er-Jahren. „Das ist unser Haus!“ heißt es da. „Man kann schon sagen, dass dieses Lied die Hymne der Dorfkneipe ist. Wenn alle mitsingen, dann verbindet das die Gäste und sie identifizieren sich jedes Mal aufs Neue mit ihrem 'Haus'. Umso mehr freut es mich, dass wir die Kult-Band für unser Fest nach Wargolshausen holen“, so der 53-jährige Wirt.
Eine Kult-Band kommt zum Jubiläum
Die Band ist tatsächlich immer noch legendär. Der schon verstorbene Rio Reiser war Kopf der Band und Hitgarant. Von „König von Deutschland“ über „Junimond“ bis hin zu „Halt dich an deiner Liebe fest“ sorgte die linke Protestband für Aufsehen und Erfolge zugleich. Wenn am kommenden Freitag, 16. August, all die bekannten Lieder von der Originalbesetzung zusammen mit dem neuen Scherben-Sänger „Gymmick“ in Wargolshausen ab 19 Uhr live auf der Bühne gespielt werden, dann geht für "Charly" Gessner ein Traum in Erfüllung und es weht ein Hauch von Rio Reiser durch Wargolshausen. „Dann singt hoffentlich das halbe Dorf und viele auswärtige Gäste ‚Das ist unser Haus!‘.“
Eben dieses Haus wurde schon um die Jahrhundertwende vor etwa 120 Jahren als Wirtshaus gebaut. Diese Tradition sollte damals erhalten und fortgeführt werden. Als Gessner 1999 die über Jahre leerstehende „Pension Sabrina“ kaufte und als „Dorfstüble“ neueröffnete, wurde das alte Fachwerkhaus in den letzten zwei Dekaden für viele Gäste weit mehr als nur ein kleiner Bierausschank.
Wirt ist Seelenklempner und Zuhörer zugleich
Die urige Kneipe ist Kommunikations-Ort, Schafkopf-Heimat und Zentrum der Dorfpolitik. Hier wird noch geredet und die aktuellen Geschehnisse „brühwarm“ ausdiskutiert. Gessner zeigt als Gemeinderat in Wargolshausen oft eine klare Kante, hält sich bei persönlichen Diskussionen in seiner Kneipe aber meist zurück. „Als Wirt darfst du dich nicht immer in alles einmischen und Partei ergreifen. Da braucht es viel Feingefühl.“
Das braucht es auch, wenn einen Gast Sorgen plagen. Da ist er nicht mehr Wirt, sondern oft auch Seelenklempner und Zuhörer. „Bei mir am Tresen wurde schon das ein oder andere Problem abgeladen und gelöst. Als Wirt bist du ganz nah am Menschen und ich weiß, was die Gäste beschäftigt. Dazu habe ich in den letzten 20 Jahren wirklich viel Schönes erlebt, habe aber auch viele Stammgäste kommen und auch gehen sehen. Als Wirt hast du einen besonderen Bezug zum Dorf.“
Frühschoppen als Teil der Dorfkultur stirbt aus
Doch die Dorfkneipen-Idylle trügt. „Früher gab es noch einen richtigen Frühschoppen. Da gab es auch einfach mehr Kirchengänger. Von den wirklichen Frühschoppen-Stammgästen lebt heute eigentlich nur noch einer. Das ist sehr schade.“
Und ohne seine Einnahmen vom Faschingswochenende, ohne Events wie Silvesteressen und Dart-Turnier oder die Unterstützung von Freunden und Familie sei der Erhalt des Dorfstübles einfach unmöglich. „Ich habe mit meiner Frau Andrea die geborene Wirtin gefunden. Ohne sie geht gar nichts mehr. Sie ist resolut und was sie sagt, das ist Gesetz – bei allen Gästen und zu jeder Uhrzeit. Alleine wäre das alles nicht machbar. Ich mache das Dorfstüble ja quasi als Hobby neben meiner Tätigkeit bei Siemens.“ „Solange es mir so Spaß macht wie gerade, mache ich noch weiter“, gibt Gessner eine Prognose für die Zukunft.
Wenngleich ein Wirtshaussterben in Wargolshausen noch in weiter Ferne liegt, können die Gäste beim Dorfstüble-Fest am Freitag nicht nur ein einzigartiges Livekonzert erleben und am Samstag und Sonntag beim Fest mit viel Musik dabei sein. Nein, sie können helfen, eine Traditionskneipe zu unterstützen und einen Beitrag zum Erhalt eines ganz besonderen Ortes beitragen.