Man kann sich bei Bedarf das Cocktailrezept von Abby und Martha Brewster notieren: Holunderwein mit Spuren von Arsen, Strychnin und Zyankali. Man kann Michael Jeske und Hans-Joachim Rodewald in die Rollen der liebenswürdigen alten Tanten in Joseph Kesselrings rabenschwarzer Komödie „Arsen und Spitzenhäubchen“ stecken - wie eben im Meininger Theater geschehen. Und trotzdem fehlt etwas.
Jedenfalls für die, die Frank Capras Film – nach Kesselrings Theaterstück – kennen und lieben. So geht es einem nicht selten, wenn man von einzigartigen Werken von Film oder Literatur geprägt wurde. Wer könnte denn den original Loriotschen Herren im Bad das Wasser reichen, selbst wenn er sich noch so attraktiv mit Quietscheente in der Wanne positionieren würde? Wer käme nur in die Nähe der Aura von Karl Valentin, wenn er versuchte, ihn zu imitieren?
Regisseur Lutz Hochstraate („Othello darf nicht platzen“) hat „Arsen und Spitzenhäubchen“ inszeniert, in einer von Ausstatterin Kerstin Jacobssen geschaffenen Kulisse, die wie eine Leihgabe aus den Warner Bros. Filmstudios von 1941 aussieht. Da Jeske und Rodewald in die Rollen der Todesengel-Tantchen schlüpfen, dürfte das Stück ein Selbstläufer werden. Allein schon die Meininger Ur-Mimen auf den Plakaten zu sehen, wird eine Menge Leute ins Theater locken. Dort werden die Zuschauer zwar mit Situationskomik und skurrilen Szenen bedient, die Ereignisse wirken jedoch für jene, die die Geschichte kennen, ziemlich nachgespielt. Deshalb verliert die Handlung schnell an Witz, Charme und doppeltem Boden, wenn sich die sympathietragenden Ladies aus dem Bild entfernen.
Dabei ist mächtig was los im Haus der Schwestern Brewster. Jeder in dieser Sippe pflegt eine veritable Macke. Neffe Teddy (Matthias Herold), zum Beispiel, hält sich für Präsident Theodore Roosevelt und trompetet ständig zur Attacke, wenn er nicht gerade im Keller Leichen verbuddelt. Das schwärzeste Schaf der Familie, Neffe Jonathan (Renatus Scheibe), brachte es immerhin zum gesuchten Serienkiller im Frankensteinlook.
Dagegen scheint das Schicksal, das Neffen Mortimer (Phillip Henry Brehl) ereilt hat, relativ harmlos. Er ist Theaterkritiker. - Was aber machen die Zuschauer mit der Gewissheit, dass die Ladies reinen Herzens zwölf Leichen plus einen außerplanmäßigen Toten im Keller liegen haben? Sie nehmen die Tatsache billigend in Kauf und wünschen sich, weder den Schwestern noch dem guten Teddy möge ein Leid zustoßen. Um den Theaterkritiker muss man sich weniger Sorgen machen. Der junge Springinsfeld wird das Tohuwabohu nicht zuletzt dank seiner treubraven Braut (Carla Witte) überstehen.
So weit, so gut und vielleicht auch: so bekannt. Trotzdem schwächelt der Jeske-Rodewald-Bonus im Lauf der Handlung. Die Rollencharaktere der beiden sind zu konservativ, um die Geschichte zu befeuern. In ihrer Schrulligkeit ergänzen sie sich zwar vorzüglich – eine korpulente, treusorgende Lady der Eine, eine etwas filigraner wirkende Dame der Andere. Aber sie bringen kleinbürgerliche Bedächtigkeit in die Handlung, während das Volk – insgesamt sind dreizehn Akteure im Spiel - um sie herumwuselt. Und das wuselt ziemlich künstlich erregt. Um dem Theaterpublikum langweilige Passagen zu ersparen, bräuchte die Inszenierung mehr Zwischentöne und einen Rhythmus, der die Balance zwischen Verzögerung und Beschleunigung hält.
- Zumindest für jene, die die Geschichte kennen, dürfte der Abend mit einem lachenden und eineinhalb weinenden Augen zu Ende gehen. Jedenfalls betrachtet man danach Cocktails, die einem von liebenswürdigen Ladies angeboten werden, mit größerer Skepsis als vorher.
Nächste Vorstellungen: 22. April, 20. Mai, 17. und 25. Juni, jeweils 19.30 Uhr. Karten: Tel. (0 36 93) 451 222. www.das-meininger-theater.de