Wenn Frauen Knie zeigen, kann das im Alltag durchaus anregend sein. In diesem Fall geht die Dame aber wohl etwas zu weit. Wie zwei Blütenblätter eine Knospe verbergen, so geben zwei Hautlappen, die zuvor ein akkurater Schnitt getrennt hat, die Sicht frei auf das nackte Knochen-Gelenk des Unterschenkels. Der Blick des Laien genügt, um zu sehen, dass hier gleich Einiges an Säge- und Feilarbeiten notwendig sein wird.
Schon nach den ersten Schritten in den Operationssaal des Bad Neustädter Kreiskrankenhauses hatte uns ein mit mulmig noch sehr unzureichend beschriebenes Gefühl beschlichen. Üblicherweise betreten wir solche Säle nur unter Vollnarkose, was durchaus der angenehmere Weg ist. Unsere Magengegend ist ein luftleerer Raum.
Das OP-Besteck glänzt unter dem Scheinwerferlicht. Sofort erkennen wir die kleine Handsäge mit dem oszillierenden Sägeblatt. Im heimischen Werkzeug-Sortiment heißt das Teil "Fein-Multimaster" und tut beste Dienste bei der Wohnungs-Renovierung. Der Unterschied zu seinem OP-Schwestermodell liegt nur in der hygienischen Anspruchslosigkeit der Werkbank-Variante.
Schrilles Surren
Schon dröhnt ein schrilles Surren durch den Operationssaal. Ritz-ratz: ein gutes Stück vom Knochen muss ab. Nach 82 Jahren hat das arg lädierte Knie der Patientin viel mitgemacht. Um die abgenutzten Stellen der Gelenke hat der Körper neues Knochenmaterial gebildet. Diese Wucherungen müssen abgetragen werden, um wieder eine vollständige Beugung des Knies zu ermöglichen.
"Wenn sie 'mal herschauen", lockt Dr. Michael Sperlich die beiden Pressevertreter nahe an das Operations-Geschehen. Dabei würde man lieber in einen brodelnden Vulkankegel blicken, als auf das aufgesägte, schwammartige Knochenstück. Der Nervenkitzel wäre gewiss geringer. Wahrscheinlich ist unser Teint in diesem Moment so grün wie die Tracht der OP-Schwestern rings herum.
Verbesserte Präzision
Der rettende Blick geht hinüber zum Bildschirm auf der anderen Seite des Saals. Er ist der eigentliche Grund unseres Besuchs und das Herzstück des sogenannten "Ortho-Piloten". Diese besondere Technik stellt dem operierenden Arzt präzises Datenmaterial für die Operation zur Verfügung. Zwei Sender, die mit einem kleinen Schnitt an Ober- und Unterschenkel angebracht sind, werden von einem Infrarotsender angepeilt. Aus den Daten wird ein dreidimensionales Bild des Knies berechnet. Der Operateur erhält exakte Zahlen zu den Beinachsen, zu Spaltmaßen, Winkeln und zur Spannkraft des Bandapparates.
"Wir können somit wesentlich genauer operieren", freut sich Sperlich, der seit Einführung des Systems am Kreiskrankenhaus Mellrichstadt vor rund einem Jahr zusammen mit Chefarzt Dr. Karl Jaroschek etwa 120 Knieprothesen in Mellrichstadt und Bad Neustadt eingesetzt hat. "Wir hatten bisher keine einzige Revision, das spricht für die Qualität dieser Methode", erklärt Chirurg Sperlich.
"Tom Tom", so heißt ein Navigationsgeräte-Hersteller für Automobile. "Tom, tom" klingt es auch im Operationssaal, als Dr. Sperlich zum Hammer greift. Auch wenn das Kreiskrankenhaus mit dem Ortho-Piloten über eine der neuesten Technologien auf dem Markt verfügt, ist gute, alte Handarbeit selbst mit dem Holzhammer immer noch gefragt.
Mit wenigen präzisen Schlägen bekommt die Knie-Prothese aus Chrom-Molybdänstahl den richtigen Sitz im Oberschenkel. Der Spezialkleber wird im Knochen gleich aushärten. Als Ersatz für den Meniskus ist für die 82-jährige Patientin eine Polyethylen-Scheibe vorgesehen. Auch hier gibt der Ortho-Pilot die Größe vor.
Kein Roboter
"Da der Ortho-Pilot kein Roboter ist, bleibt die genaue Beurteilung immer noch dem erfahrenen Arzt überlassen", lobt Dr. Sperlich die Technik. Bei seiner Patientin seien zum Beispiel die O-Beine so ausgeprägt, dass eine rein rechnerische Null-Stellung gar nicht mehr wünschenswert ist. "In diesem Fall geht es hauptsächlich um ein Erreichen der Schmerzfreiheit, also korrigieren wir den Soll-Wert manuell", so der Chefarzt.
Wie gut das Bad Neustädter Ärzte- und Schwesternteam gearbeitet hat, wird sich spätestens im Frühjahr zeigen. "Der Patientin war es ganz wichtig, wieder im Garten arbeiten zu können", verrät der Chirurg. So ein Ortho-Pilot ist also auch gut für einen blühenden Schrebergarten irgendwo im Landkreis Rhön-Grabfeld.
Im Blickpunkt


Ortho-Pilot
Die Technik des Ortho-Piloten er-
möglicht am Kreiskrankenhaus Bad
Neustadt computerunterstützte,
hochpräzise Knie- oder Hüft-
gelenks-Operationen. In ganz
Deutschland, wo jährlich rund
100 000 künstliche Kniegelenke
eingesetzt werden, wurden mit
Hilfe dieser Technik bereits rund
65 000 Operationen durchgeführt.
Im Kreiskrankenhaus informieren
sich auch Ärzte aus anderen Häu-
sern über diese OP-Technik, die
eine längere Lebensdauer der Im-
plantate sowie weniger Röntgen-
Strahlung durch überflüssige Vor-
untersuchungen ermöglicht.