(jkl) Eine weitere Zeitzeugin der Nazizeit ist auch die heute 80-jährige Hermine Haag. Sie war bei Kriegsausbruch zwar erst acht Jahre alt, bekam aber doch schon Vieles mit.
Vorneweg bemerkt sie in einem Gespräch mit der Main-Post, dass es in der Grabfeldstadt viele Geschäfte gab, die von Juden betrieben wurden. Einer der Juden, der mit Angehörigen kurz vor einer Deportierung auswandern wollte, verkaufte sein Haus an ihren Vater. Das sei noch vor der Pogromnacht, die in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 stattfand, gewesen, erinnert sich die Rentnerin.
Die betroffenen Juden hätten bereits auf ihre Schiffskarten gewartet, die sie von Hamburg nach Amerika bringen sollten.
Doch zuvor sollte sich an der Haustüre eines Anwesens noch Spektakuläres abspielen. Die SA, die Sturmabteilung einer paramilitärischen Kampforganisation der NSDAP, kam vorbei und wollte die Ausreisewilligen abholen. Von der geplanten Auswanderung habe die SA aber nichts gewusst. „Die Juden wurden ohne Grund mitgenommen und in ein örtliches Gefängnis gebracht“, schildert Hermine Haag den traurigen Vorgang. Als sie am Marktplatz abgeholt worden seien, habe ihr Vater gesagt: „Der Hausbesitzer bin ich – hier geht niemand über die Schwelle“. Aber das half nichts. Angehörige hätten später eine Kaution für die Freilassung bezahlt. Schließlich verließen die drei Juden nach der Kristallnacht ohne Wissen der Kreisleitung die Stadt Königshofen. Sie wurden zum Schiff nach Hamburg gebracht und damit vor dem sicheren Tod gerettet.
Schicksal ungewiss
„Während der Kriegszeit hat unsere Familie nichts mehr von ihnen gehört und wir wussten auch nicht, ob sie in Amerika ankamen“, sagt Hermine Haag. Später erfuhren die Haags jedoch aus sicherer Quelle, dass sie in den Vereinigten Staaten eine Hühnerfarm aufbauten und ein beschauliches Leben führen.
Schrecklich sei es gewesen, so die Rentnerin, mit anzusehen, dass die Synagoge an der Bamberger Straße rigoros zerstört wurde. „Um Himmels Willen – was passiert denn jetzt dort...“ Diesen Satz hat Frau Haag noch heute im Gedächtnis.
Dass Juden aus Königshofen auch in Konzentrationslagern landeten – das habe sie als Kind am Rande mitbekommen. Doch was das genau bedeuten sollte, konnte sie sich als Kind damals nicht vorstellen. Wurden Juden abgeholt, habe sie es mit der Angst zu tun bekommen. Sie fürchtete um ihr eigenes Leben.
Wenn in Gesprächen Worte wie „Kreisleiter“ oder „Parteigenosse“ erwähnt wurden, lief ihr ein kalter Schauer über den Rücken. „Denn diese Leute waren von uns Mädchen sehr gefürchtet“, sagt die Rentnerin. Stets habe man ihnen gegenüber den „Heil-Hitler-Gruß“ mit erhobener Hand sprechen müssen.
Die jungen Frauen waren im BDM integriert, dem Bund Deutscher Mädel, und hätten bei ihren Auftritten eine weiße Bluse sowie einen schwarzen Rock tragen müssen.
Als später die Amerikaner einzogen, wurden die „guten Häuser“ in Königshofen beschlagnahmt. In der einstigen „Adler Post“, einer Traditionsgaststätte, seien die Amerikaner ohne legitime Rechte heimisch geworden. Im Kaufhaus Reinhard, einen Steinwurf davon entfernt, wurde von den Amerikanern ohne lange zu fragen eine Bar installiert. Dort trafen sich die Soldaten bei Musik und Getränken.
Immer in Angst vor den Bomben
Die Inhaber sahen sich kurzerhand aus dem Laden verbannt und mussten in ihrem Haushalt im oberen Stockwerk ein kleines Geschäftszimmer einrichten. „Da hattest Du praktisch nichts mehr zu sagen“, fügt Hermine Haag hinzu.
„Als dann Bomben fielen, ist ganz Königshofen ausgerissen“. Hermine Haag weiß zu berichten, dass sie aus Angst vor weiteren nächtlichem Bombenhagel vorübergehend nach Bundorf flüchtete, um bei einer Hausgehilfin Unterschlupf zu finden. Das Textilgeschäft in Königshofen wurde aus Furcht vor einer Bombardierung von den Inhabern geschlossen.
Der zuständige Kreisleiter hat laut Hermine Haag darauf folgendermaßen geantwortet: „Wenn ihr nicht schnellstens das Geschäft wieder aufmacht, wird es beschlagnahmt“. Rasch kamen die Kaufleute zurück und öffneten die Türen.
Kinder mussten ihr Leben lassen
Eine Bombardierung gab es in der Hindenburgstraße. Drei auf der Straße spielende Kinder kamen dabei ums Leben, wie Hermine Haag heute noch von Trauer ergriffen erzählt. „Auch in das Gebäude der Reinigung Brucker in der Juliusstraße nahe des Kirchplatzes schlug eine Bombe ein, wobei ein Herr Wohlgemut sein Leben lassen musste“.
Die Zeitzeugin weiter: „Zum Schutz vor der Bombe wollte er gerade in den Keller...“. Schließlich sei noch im Bereich der Zeughausstraße eine Bombe gefallen, die aber nur Sachschaden anrichtete.
Hermine Haags Fazit: „Es war eine schlimme Zeit, die sich nicht mehr wiederholen darf, denn jeder Tote ist einer zu viel, aber eine stete Mahnung, sich ständig für den Frieden einzusetzen“.