Icon Menü
Icon Schließen schliessen
Startseite
Icon Pfeil nach unten
Rhön-Grabfeld
Icon Pfeil nach unten
Bad Neustadt
Icon Pfeil nach unten

BAD NEUSTADT: Eschenau-Opfer Heidi Marks liest aus ihrem Buch: „Es gibt so viele kleine Heidis“

BAD NEUSTADT

Eschenau-Opfer Heidi Marks liest aus ihrem Buch: „Es gibt so viele kleine Heidis“

    • |
    • |

    >

    Video: Heidi Marks liest in Bad Neustadt aus ihrem Buch

    Marks Buch ist Mitte April erschienen, ein Jahr nachdem die Polizei ihre umfangreichen Ermittlungen wegen sexuellen Missbrauchs von Mädchen und Frauen in Eschenau (Lkr. Haßberge) begonnen hat, ein halbes Jahr nachdem einer ihrer Peiniger, Alfred G., zu einer Haftstrafe von viereinhalb Jahren verurteilt wurde.

    Über 17 400 Exemplare des Buches gingen schon über den Ladentisch, „als der Mann kam und mich mitnahm“ hat es auf Platz 31 der Spiegel-Bestseller-Liste geschafft. Am Montag hat Marks in Bamberg gelesen, am Donnerstag Mittag drehte sie mit dem Bayerischen Rundfunk, am Freitag für Stern TV.

    Doch Routine sieht anders aus. Das Lesen fällt Heidi Marks schwer. Immer wieder gerät sie ins Stocken, muss schlucken, tief Luft holen. Wenn sie davon erzählt, wie sie als Vierjährige von einem Nachbarjungen zum Oralverkehr gezwungen wurde. Oder wie sie ein älterer Schüler im Alter von zehn in eine Scheune zerrte.

    Marks gibt Betroffenen Mut

    „Meine Geschichte ist wirklich nur ein Beispiel“, sagt Heidi Marks immer wieder, „es gibt so viele kleine Heidis da draußen“. Das sei ihr in den letzten zwei Wochen in Deutschland klar geworden: Immer wieder wurde sie von Betroffenen angesprochen. Auch an diesem Abend vertraut sich ihr eine Dame an, die 60 Jahre geschwiegen hatte. Solche Erlebnisse bestätigen Marks, dass sie richtig gehandelt hat.

    Warum sie nach so langer Zeit ihr Schweigen gebrochen hat, will Sat 1-Moderator Peter Johannsen in der anschließenden Diskussionsrunde wissen. „Weil ich erfahren habe, dass es mehr Opfer gibt. Wenn das nicht gewesen wäre, hätte ich nie gesprochen, niemals in Deutschland, in Eschenau“, sagt Marks.

    „Bis ich 42 Jahre war, dachte ich, ich bin schuld“, so Marks. Dann erkennt sie, dass sie nichts dafür kann. Die 51-Jährige zitiert aus ihrem Buch: „Ich ließ das ganze Band noch einmal in meinem Kopf durchlaufen und auf einmal traf es mich! Wir wohnten noch im ersten Haus! Die Bärbel war gerade erst geboren! Ich war erst VIER Jahre alt.“ Hier bricht Heidi Marks Stimme.

    Helmut Will von der Opferschutzorganisation Weißer Ring erklärt, dass ein Täter bewusst Druck aufs Opfer ausübe. „Leute, die so was machen sind nach außen die Guten, um das, was sie verbergen wollen, nicht hochkommen zu lassen.“ Der Mann vom Weißen Ring erklärt: „Ein Opfer ist nie schuld! Das Schlimmste für mich war, als ich erkennen musste, dass in Eschenau die Opfer zu Tätern gemacht werden.“

    „Wie kann man nach so etwas wieder Vertrauen zu einem Mann gewinnen?“
    Frage aus dem Publikum an Heidi Marks

    Besonders die Pfarrerin in Eschenau habe vom ersten Tag an eine unglückliche Rolle gespielt, so Helmut Will: „Weil sie sich bemüht hat die Sache unter dem Deckmantel der Verschwiegenheit zu halten“. Viele seien Christen in Eschenau und würden auf die Frau hören, sagt Will. „Hätte sie richtig reagiert, wäre das vielleicht gar nicht so hochgepuscht worden.“

    „Ist Eschenau überall?“, fragt Moderator Johannsen in die Runde. Susanne Will, Journalistin und Co-Autorin des Buches glaubt nicht, dass das Vorgefallene ein dörfliches Phänomen ist: „Das wird man auch in Städten wie Bad Neustadt, Münnerstadt – überall finden.“

    Helmut Will appelliert an die Betroffenen im Saal, sich Hilfe zu suchen: „Wenn man das lange mit sich herumzieht dauert die Aufarbeitung viel länger.“ Um zu erreichen, dass sich Opfer möglichst frühzeitig outen, startet Florian Heirler, Chefarzt der Gynäkologie im Bad Kissinger St. Elisabeth Krankenhaus, momentan in Zusammenarbeit mit der Kriminalpolizei das Pilotprojekt Sexueller Missbrauch.

    Ziel der Initiative: Der Betroffene soll nicht wie bisher an verschiedensten Orten vorsprechen müssen – bei Polizeidirektion, Gutachter, Rechtsmediziner und in einer Klinik – sondern möglichst an einem Ort betreut werden und nur ein Protokoll ausfüllen müssen.

    Das Publikum sieht mitgenommen aus nach über zwei Stunden. Nur eine Zuhörerin meldet sich zu Wort: „Eine Frage geistert mir ständig durch den Kopf. Wie kann man denn nach solch einem Erlebnis überhaupt wieder Vertrauen zu einem Mann gewinnen, sich einem Mann zuwenden?“ Heidi Marks sucht mit den Blicken ihren Mann Rick in der ersten Reihe: „Das kann man auch nicht. Aber er konnte es. Er hat in mir Vertrauen erweckt.“ Die Starre fällt ab, das Publikum klatscht Beifall.

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden