Das gibt es nur am Flughafen der Thüringer Landeshauptstadt. Der Bus mit Besuchern fährt hinaus zur 2600 Meter langen Start- und Landebahn, stoppt dort und öffnet die Türen. Die Neugierigen springen auf den Asphalt. In grün, gelb und rot leuchtet die Befeuerung, die den Piloten bei Nacht und schlechter Sicht den Weg weist. So nahe an das Heiligtum eines Airports kommen Besucher normalerweise nicht. Schnell ein Erinnerungsfoto. Dann hurtig zurück in den Bus.
„Diese Art der Führung gibt es nur in Erfurt“, sagt Busfahrer Siegfried Bürger. Was sonst ein Nachteil ist, nämlich der kleinste der internationalen Verkehrsflughäfen in Deutschland zu sein, wird jetzt zum Vorteil. Seit Juni veranstaltet der Flughafen öffentliche Führungen. Bei dieser Führung sind 65 Besucher da. „Wir sind vom Zuspruch beeindruckt“, freut sich Franziska Gerlach, kurz Franzi, die die Infotour leitet.
Als der Bus am Vorfeld wartet, damit die Besucher den Start von zwei Ferienfliegern nach Antalya aus der Nähe betrachten können, kommt die Rede wie von selbst auf die Hiobsbotschaft vom August. Da hatte Deutschlands zweitgrößte Fluggesellschaft, Air Berlin, angekündigt, Anfang November in Erfurt den Abflug zu machen. „Das war schon ein Schock“, gibt Tourleiterin Franzi zu.
Rund 60 Prozent seines Umsatzes gehen dem Flughafen angeblich verloren, wenn Air Berlin Erfurt nicht mehr anfliegt. „Wenn das wirklich zutrifft, dann ist das lebensbedrohlich“, sagt Matthias Lösch aus Gotha, der mit Frau und Kind zur Besichtigung gekommen ist. Nach kurzem Nachdenken berichtigt er sich: „Das ist eigentlich tödlich.“
„Das ist so was von gemein.“
Fluggast Monika Herbig über die Pläne von Air Berlin
Kein Wunder, dass die überrumpelte Landesregierung alarmiert ist. Verkehrsminister Christian Carius (CDU) hat umgehend mit den Vorständen von Air Berlin gesprochen. Zumindest brachte er die Zusage mit, dass Air Berlin „mit der Flughafengesellschaft Erfurt-Weimar in Verhandlungen über einzelne Flüge im nächsten Sommerflugplan“ eintreten will. Mit Subventionen will der Minister der Fluggesellschaft einen Verbleib aber nicht schmackhaft machen. Schließlich sind seit 1991 schon rund 200 Millionen Euro in den landeseigenen Flughafen gesteckt worden, weitere 50 Millionen Euro flossen als Zuschuss für Fluglinien.
Auch wenn der Airport seit 20 Jahren nicht zum Höhenflug ansetzt, auch wenn er der Großmannssucht früherer CDU-Regierungen entsprang und der einstige Direktor für den erwünschten Ausbau sogar Passagierzahlen fälschen ließ: Einen Niedergang wünscht sich wohl niemand. Franziska Gerlach verweist auf die 120 Mitarbeiter. Insgesamt seien 530 Arbeitsplätze vom Airport abhängig, der seit März den Doppelnamen Erfurt-Weimar trägt. So haben sich zwei bekannte Logistik-Firmen hier angesiedelt. Und die Lufthansa lässt in einer eigenen Halle Techniker ausbilden.
„Das ist so was von gemein“, urteilt Monika Herbig aus Erfurt über den geplanten Rückzug von Air Berlin. Sie und ihr Mann sind Stammgäste bei der Fluggesellschaft. Jedes Jahr fliegen sie zwei Mal von Erfurt aus nach Ägypten. Die Maschinen, so ihre Beobachtung, waren immer ausgelastet. „Um so mehr erstaunt mich, dass jetzt so was kommt“, schüttelt Joachim Herbig den Kopf. Vor allem will das Ehepaar nun wissen, was mit ihrer geplanten und bezahlten Reise am 9. November wird. Würde Air Berlin seine Ankündigung wahr machen, gäbe es diesen Flug ab Erfurt nicht mehr.
Unter den Mitarbeitern macht die Vermutung die Runde, dass Air Berlin nur darauf aus ist, bessere Bedingungen herauszuschlagen. Trotzdem sei die Stimmung in der Belegschaft „gelassen“, sagt Busfahrer Bürger. Das Management hat bekannt gegeben, mit mehreren Airlines sprechen zu wollen, die anstelle von Air Berlin Erfurt anfliegen könnten. Flughafen-Sprecher Lothar Neyer sagte: „Es gibt etliche Fluggesellschaften, die daran vitales Interesse haben.“ Das klingt zwar nach Zweckoptimismus. Aber auch Reisebüros am Flughafen teilen diese Sicht. „Wir sind optimistisch“, sagt eine Mitarbeiterin von TUI. Sie ist sich sicher, dass andere Gesellschaften Air Berlin ersetzen werden. Schließlich habe es diesen Sommer einen guten Zuspruch gegeben. Vor allem an den Wochenenden ist der Parkplatz proppevoll. Laut den Nummernschildern kommen viele Fluggäste aus Franken. Für sie sei Erfurt kleiner, feiner und familiärer als Nürnberg, sagt Flughafen-Mitarbeiter Siegfried Bürger. Und dank der Autobahnen 71 und 73 sind sie schnell angereist.
Ausgelastet ist der Flughafen trotzdem nicht. 324 000 Passagiere wurden im Vorjahr abgefertigt, auf 1,3 Millionen ist er ausgelegt. Für den Gothaer Matthias Lösch bleibt denn auch ein zwiespältiger Eindruck: „Schön, wenn man ihn vor der Tür hat. Aber ob man ihn braucht, ist die Frage.“