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Für den Arzt Ahmed Abucar heißt Urlaub: Helfen in der Heimat Somalia

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Für den Arzt Ahmed Abucar heißt Urlaub: Helfen in der Heimat Somalia

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    Woran liegt es wohl, dass die Kartoffeln immer verfaulen, bevor sie geerntet werden können? Ahmed Abucar kann es den somalischen Bauern nicht erklären. Schließlich ist der Wahl-Kissinger Arzt und kein Agrarwissenschaftler. Aber wo immer er helfen kann, packt er in seinem Heimatland regelmäßig mit an – für die Dauer seines Jahresurlaubs.

    Vor 13 Jahren hat der Oberarzt der Kissinger Marbachtalklinik mit Deutschen und Somali aus seinem Bekanntenkreis den Verein „Samofal“ ins Leben gerufen. Das Somali-Wort meint „gemeinnützige Arbeit leisten“. Die derzeit 14 eingetragenen Mitglieder leisten Beachtliches im Bundesland Puntland. Das liegt im Nordosten Somalias, am Horn von Afrika.

    Vor allem die etwa 19 000 Einwohner zählende Küstenstadt Eyl ist Ziel ihrer Hilfsprojekte. Dort hatte der Tsunami 2004 verheerende Schäden hinterlassen. „Infrastruktur gab es ein Jahr lang keine“, sagt Abucar. „Die Lehrer gingen fischen, weil die Schule nicht mehr da war.“

    „Die haben mich gefragt: 'Woran liegt das?' Ich habe keine Ahnung.“

    Abucar über misslungenen Kartoffelanbau in Puntland

    Im Lauf des Jahres 2005 bauten einige Nichtregierungs-Organisationen rund 45 kleine Häuser wieder auf, erzählt Abucar. Samofal und andere Hilfsorganisationen halfen 2006, die zerstörte Schule wieder herzurichten. Ein Jahr später übernahm Samofal die Bezahlung eines Lehrers. „Für 200 Dollar im Monat“, so Abucar.

    Schule wieder aufgebaut

    Im Dezember hat Abucar den Ort wieder besucht. „Es gibt jetzt wieder 28 Schüler an der Secondary School“, erzählt der quirlige Arzt erfreut. „Die Leute werden nach der Flutkatastrophe allmählich wieder sesshaft.“ Leider, bedauert er, konnte er ausgerechnet das Vorzeigeprodukt Samofals bei seinem Besuch nicht fotografieren. Die Akkus seiner Digitalkamera waren leer. „Aufladen war da nicht möglich.“

    Abucar ist stolz, dass Samofal durch Spenden ein weiteres Jahr einen Lehrer finanzieren kann. Auch zwei andere Organisationen sowie die Stadtverwaltung haben eine Finanzierung zugesagt. Und dann ist der Arzt noch einem Unternehmer in Puntlands Hauptstadt Garoowe beharrlich auf die Füße getreten. Mit dem Ergebnis, „dass 2008 insgesamt vier Lehrer an der Schule unterrichten können“, sagt Abucar.

    Nahe der Grenze zu Äthiopien

    Besucht hat der Kissinger auch Dörfer nahe der Grenze zu Äthiopien. Dort haben sich ehemalige Nomaden niedergelassen. Abucar spricht von einem „Bauern-Experiment“. Das Gebiet, etwa 90 Kilometer von der Landes-Hauptstadt entfernt, habe einen relativ hohen Grundwasserspiegel. „Auf kleinen Feldern werden mittlerweile unter anderem Tomaten, Zwiebeln, Linsen, Mais und Hirse angebaut.“

    Mit Kartoffeln will es allerdings nicht klappen, hat Abucar von den Bauern erfahren. „Die haben mich gefragt: 'Woran liegt das?'. Aber ich habe keine Ahnung“, gibt der Mediziner zu. Auch am Obstanbau versuchen sich die Bewohner. „Mango, Papaya, Bananen, ich war wirklich begeistert.“ In Plastikkanistern und auf kleinen Lastwagen werde die Ernte nach Garoowe zum Markt gekarrt. „Da ist man einen halben Tag unterwegs, bei Temperaturen um die 30 Grad.“

    Agrarfachmann gesucht

    Seit kurzem gibt es in dem Dörferverband auch einen Bauernverein. Abucar ist von dem Engagement der Leute überzeugt. Nun aber, meint er, bräuchten sie einen Fachmann, der sie mit seiner Erfahrung beraten und schulen könnte. Der 58-Jährige denkt da an einen Bauern oder Agrarwissenschaftler aus Deutschland, der Lust an so einem Einsatz hätte. „Wenn wir einen finden, organisieren wir das“, sagt Abucar. „Die Freude dort wäre groß.“

    Die positive Entwicklung soll fortschreiten in den Dörfern, das ist das Ziel von Samofal. „Neben der Versorgung mit Nahrungsmittel brauchen die Leute Schulen und eine gesicherte medizinische Grundversorgung.“ Letzteres ist für den Arzt der Schwerpunkt in seinem persönlichen Einsatz.

    Drei Wochen hat Abucar im Dezember im Krankenhaus von Garoowe wieder Patienten behandelt und Ärzte geschult. „Vor allem Infektionskrankheiten wie Tuberkulose, Malaria und Durchfall sind ein großes Problem.“ Auch Diabetes-Erkrankungen nähmen zu.

    Wer einen Arzt brauche, brauche vor allem Geld, weiß Abucar. „Somalia hat keine gesetzliche Krankenversicherung.“ Umgerechnet etwa drei Euro koste eine einfache Ultraschall-Untersuchung. Dafür müsse ein normaler Somali eine ganze Woche arbeiten. „Wer Angehörige hat, hat Glück. Die kommen dann und pflegen den Kranken.“ Angestelltes Pflegepersonal sei praktisch nicht vorhanden.

    Medizinische Versorgung

    Für Abucar ist offensichtlich: Die Ärzte brauchen bessere Arbeitsbedingungen, die Patienten bessere Untersuchungen. Deshalb ist Abucar immer auf der Suche nach medizinischem Gerät. Solches, das in Deutschland ausgemustert wird. Für neue Geräte fehlt auch dem Verein das nötige Kleingeld. Zudem verschlingt der Transport per Flugzeug und Schiff hohe Summen. Direktverbindungen nach Somalia gibt es nicht.

    „Wir brauchen Afrika-taugliche Geräte für Ultraschall, EKG, Blutdruckmessungen und so weiter“, zählt Abucar auf. Zuviel High-Tech dürfe es nicht sein. „Damit kann dort keiner etwas anfangen.“ Derzeit verhandelt Abucar mit einem Arzt aus Saarbrücken. Der möchte an den Verein sein Röntgengerät abgeben.

    Just an diesem Gerät interessiert ist auch die Stiftung „Menschen für Menschen“ von Karl-Heinz Böhm. Die leistet schon seit über 25 Jahren Entwicklungshilfe in Äthiopien. „In der Hauptstadt Addis Abeba gibt es deswegen zwei sehr gute Krankenhäuser“, weiß Abucar. „Die haben sogar einen Computer-Tomographen.“

    Der engagierte Arzt möchte jedoch erreichen, dass Somali in Puntland nicht immer über die Grenze müssen, wenn sie eine umfangreiche Untersuchung brauchen. Abucar will mit Samofal die Ärzte im Land, besser gesagt, auf dem Land in ihrer Arbeit ermutigen und unterstützen. Nur so lasse sich dauerhaft Hilfe zur Selbsthilfe erreichen.

    Das ist überhaupt das Charakteristikum des Vereins. Samofal hilft nur da, „wo die Prognose so gut ist, dass die Hilfe ein Selbstläufer wird.“ Die Bereitschaft der Bevölkerung, an den Projekten selbstständig weiter zu arbeiten, müsse unbedingt da sein. „Ich sage den Leuten immer: 'Wir sorgen für das Essen, aber wir füttern euch nicht auch noch'!“ formuliert es Abucar.

    Wann immer der Deutsch-Somali sein Heimatland besucht, er trifft dort auf Menschen, die ihm besonders im Gedächtnis bleiben. In Garoowe, erzählt er, habe er eine Gruppe von sieben Frauen kennen gelernt. „Die holen psychisch Kranke von der Straße“. Freiwillig, fügt er an. In eine Art Psychiatrie. „Die Gruppe mit Namen Nasrulah hat ein Haus gemietet, wo sie die Leute unterbringt und mit dem Nötigsten versorgt.“

    Bezahlt werden könne die Miete aber oft nicht. Die Küche, sagt Abucar, sei völlig verrostet. Inzwischen sei die Stadtverwaltung auf die Gruppe aufmerksam geworden. „Da kommt jetzt Unterstützung.“ Nasrulah, übersetzt etwa Allahs Sieg, bemühe sich auch, Medikamente aufzutreiben. Ob es aber die richtigen sind, das wisse keiner so genau. „Wenn sie keine Tabletten haben und einer dreht durch, dann binden sie ihn an Ketten.“ Sehr nahe gegangen sei ihm das, erzählt Abucar.

    „Wenn sie keine Tabletten haben und einer dreht durch, dann binden sie ihn an Ketten.“
    Abucar über die Betreuung psychisch Kranker in Garoowe

    Solche Zustände seien für Europäer schwer vorstellbar. Dennoch: Nasrulah sorge dafür, dass die psychisch schwer gestörten Kranken nicht auf der Straße dahin vegetierten, meint Abucar anerkennend. „Die Gruppe sichert eine menschliche Grundversorgung.“ Deshalb habe er auch die Unterstützung durch Samofal zugesagt.

    Mit dem Medikamenten–Hilfswerk Action Medeor in Tönisvorst in Nordrhein-Westfalen steht Abucar schon in Verbindung. Langfristig, sagt er, brauche die Gruppe ein eigenes ordentliches Haus mit Schlafräumen, Küche und Toiletten. „Natürlich werden wir versuchen, dafür Spendengelder aufzutreiben.“

    Routine bei der Organisation

    Solch organisatorische Arbeit meistert der Mediziner mittlerweile mit einer gewissen Routine. Und auf eigene Kosten, wie er betont. „Die Mitglieder von Samofal kommen für ihre Spesen selbst auf.“ Man habe sich darauf geeinigt, keine Verwaltungskosten zu berechnen. Ein Büro existiere nicht, die Organisation laufe problemlos über Internet, Telefon und Fax. „Das Geld soll vollständig denen zukommen, die es brauchen.“

    Vor Herausforderungen dagegen stellen Abucar alle Jahre wieder die Gegebenheiten auf somalischen Flughäfen. Auf seiner Rückreise wurden wegen des islamischen Opferfestes Id-al-adha kurzfristig zwei Flüge storniert.

    Abucar erinnert sich: „In den dritten Flieger wollte dann jeder.“ Er selbst habe das nicht geschafft, klagt er ein wenig. Dabei wollte er unbedingt rechtzeitig wieder seinen Dienst in der Marbachtalklinik antreten. „Meine Kollegen machen das ja überhaupt erst möglich, dass ich fünf Wochen am Stück weg sein kann“, sagt er anerkennend. Über Tage habe sich sein Rückflug hingezogen. „Als halber Afrikaner und halber Europäer bin ich einfach nicht mit den Tricks vertraut, die man in so einem Fall anwenden müsste.“

    Im Blickpunkt

    Samofal Der Verein mit Sitz in Lennestadt im Sauerland wurde 1995 von Deutschen und Somali gegründet. Samofal engagiert sich vor allem durch Hilfsprojekte im Gesundheitssektor. Eine Zentralregierung gibt es in dem von Bürgerkriegen zerrütteten Somalia nicht. In Puntland im Nordosten Somalias hat sich aber eine gewisse Verwaltung etabliert. Ahmed Abucar, seit 1994 Oberarzt an der Kissinger Marbachtalklinik, überzeugt sich jährlich persönlich vor Ort über den Verlauf der Projekte und die sichere Ankunft der Spenden. Kontakt: Ahmed Abucar Tel. (09 71) 6 75 70 ; www.samofal03.yahoo.de

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