(pa) Am Tag des offenen Denkmals hatten die Besucher des Klosters Wechterswinkel nach langen Jahren wieder einmal die Möglichkeit, einen Blick in die ehemalige Propstei zu werfen. Am Eingang zu diesem imposanten Bauwerk wurde an diesem Tag eine Gedenktafel für Professor Ernst Lewy enthüllt.
Professor Ulrich Grossbach aus Göttingen, ein ehemaliger Wechterswinkler, hatte dies schon vor einiger Zeit angeregt. Immerhin war jener Professor Lewy, der den Besitz 1914 im Alter von 33 Jahren erworben hatte, ein bedeutender Gelehrter und vielleicht sogar der erste Professor in Deutschland (finnisch-ugrische Sprachgruppe an der Universität Berlin). Angeblich konnte Lewy 20 Sprachen sprechen und soll weit über 50 Sprachen erforscht haben. Im Beisein von Grossbach wurde die Gedenktafel nun enthüllt, mit dabei waren auch Landrat Thomas Habermann, der Ortsbeauftragte Wolfgang Fuchs, Altbürgermeister Bruno Hauck, Kreisheimatpfleger Reinhold Albert, das neue Eigentümerehepaar Klaus und Christine Dippel sowie zahlreiche Besucher.
Bruno Hauck hatte in seiner Kindheit regen Kontakt zur Familie Lewy – mit dem gleichaltrigen Sohn Georg, auch „Muggi“ genannt, war der heute 87-Jährige in der Propstei aufgewachsen, hatte gern mit ihm gespielt und von Mutter Lewy den ersten Pudding in seinem Leben vorgesetzt bekommen. Gerne blickte er auf die damalige Zeit zurück.
Reinhold Albert ging in seiner Ansprache auf die Person Lewy ein. Die Familie aus Berlin verbrachte ihre Sommerferien in Wechterswinkel. „Sie genoss in der Umgebung hohes Ansehen.“ Im Zuge der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten nahm eine SA-Formation im Sommer 1933 eine Hausdurchsuchung bei der halbjüdischen Familie Lewy vor. Aus Furcht vor weiteren Repressalien emigrierte das Ehepaar Lewy mit Sohn Georg nach Irland, wo Lewy 1939 eine Professorenstelle an der Royal Irish Academy annahm.
Bereits 1932 hatte Tochter Esther, die mit dem Schriftsteller Klaus Britz verheiratet war, die Propstei übernommen. 1938 war sie von den Nationalsozialisten gezwungen worden, den Besitz für den Spottpreis von 11 000 Reichsmark zu verkaufen, woraufhin die inzwischen geschiedene Esther Britz ebenfalls nach Irland emigrierte. Nach Ende des Zweiten Weltkriegs hatte sie ihr Eigentum zurückverlangt und nach einem Rechtsstreit auf der Grundlage des Wiedergutmachungsgesetzes auch tatsächlich zurückerhalten. Für 24 000 Mark wurde die Propstei schließlich 1952 an einen einheimischen Landwirt verkauft. Inzwischen hat sie die Familie Dippel aus dem Hessischen erworben.
Sogar der Direktor des Finnisch-Ugrischen Seminars der Georg-August-Universität Göttingen, Prof. Dr. Eberhard Winkler, freute sich in einem Schreiben an Reinhold Albert über die Ehrung „dieses großen Wissenschaftlers“. Ernst Lewy wäre, so Winkler, nicht nur „in der Finnougristik, sondern auch in der Indogermanistik und der Allgemeinen Sprachwissenschaft ein ganz Großer“ gewesen. Und Reinhold Albert freute sich, dass man auf diese Weise an die jüdischen Mitbürger erinnere, die in der Region einmal beheimatet waren.