Wenn man die 99 Stufen im Innern des Hohntors aufsteigt, eröffnet sich dem Betrachter ein einzigartiger Blick auf die Geschichte des zweitältesten Vereins Bad Neustadts. In der "Sängerstube" befinden sich hoch über der Stadt sorgfältig aufbewahrte Exponate, die die Geschichte des "Sängerkranz 1850 Bad Neustadt" zum Thema haben. Auf stolze 175 Jahre kann der Verein zurückblicken.
"Es war im Jahr des Heils 1850 am St. Joseph-Tage, als eine Anzahl von 19 jungen wack’ren Leuten im Bauer’schen Bierlokale Haus-Nr. 328 am Marktplatze dahier beim fröhlichen Gelage zusammensaß" beginnt die Vereinschronik. Aus den abendlichen Treffen heraus entwickelte sich der "GV Liedertafel", der sich den Wahlspruch "Friede, Freiheit, Fröhlichkeit" gab. Unter der Leitung von Vorstand Adam Schmitt und Dirigent Andreas Kraus fand schon im Gründungsjahr erstmalig ein Auftritt auf der Salzburg statt.

Wegen angeblicher politischer Aktivitäten wurde der Verein 1853 von Amts wegen aufgelöst. Im Jahr 1854 gründete Adam Schmitt den Verein bereits erneut, nun mit seinem heutigen Namen "Sängerkranz".
Der Verein wurde eine feste Größe bei den kulturellen Veranstaltungen der Stadt
Neben den Chorproben nahm das gesellige Leben eine wichtige Rolle ein. Man veranstaltete laut Chronik "fröhliche Kneipenabende nur für Herren", aber auch "solche für Damen und Herren". Der Verein wurde eine feste Größe bei den kulturellen Veranstaltungen der Stadt. Theaterstücke, kleine Opern und Operetten, Lustspiele und Singspiele wurden mit viel Engagement einstudiert und aufgeführt. Gemeinsam mit der Musikkapelle und der Präparandenschule (erste Stufe der Volksschullehrerausbildung) wagte man sich auch an die Aufführung großer Werke wie Haydns "Schöpfung" und Rombergs "Glocke".
1861 nahm der Verein am "Ersten Deutschen Sängerfest" in Nürnberg teil und wurde dafür gefeiert. "Mit donnerndem Hallo" wurden die Sänger bei der Rückkehr am Bahnhof in Münnerstadt empfangen. Als 1862 der "Fränkische Sängerbund" gegründet wurde, war auch der "Sängerkranz" beteiligt.
Einen Einschnitt ins blühende Vereinsleben brachte der Erste Weltkrieg. Die verbliebenen Sänger halfen in der Zeit danach durch Wohltätigkeitskonzerte. 1931 wurden in einem solchen Konzert 271,85 Reichsmark erlöst. Damit wurden "an 24 vereinsnahe Personen 40 Zentner Kohlen, 100 Laib Brot, für 100 Reichsmark Lebensmittel und für weitere 13 Reichsmark Fleisch- und Wurstwaren" verteilt.
Chor bekam 1962 die Zelter-Plakette verliehen
Nach dem zweiten Weltkrieg nahm man 1949 mit 19 Sängern erneut den Probenbetrieb auf. Schnell wuchs die Zahl der Sänger wieder auf 51, so dass 1950 das 100jährige Stiftungsfest gefeiert werden konnte. Mit einem Festkonzert, einem großen Sängertreffen auf dem Marktplatz, einem Festzug durch die fahnengeschmückte Innenstadt, Chorvorträgen von 23 Gastchören und einem Ball wurde gefeiert. Dies markierte den Beginn einer weiteren Blütezeit des "Sängerkranz".

Für seine Verdienste wurde der Chor 1962 mit der Zelter-Plakette des Deutschen Chorverbands ausgezeichnet, der höchsten Auszeichnung für Amateurchöre in Deutschland. Die Pflege der Freundschaft zu anderen Chören war dem Sängerkranz immer wichtig. Im Jahr 2000 wurde der gemischte Chor aus Bilovec (früher Wagstadt, Tschechien) zum 150-jährigen Jubiläum eingeladen. Als Sudetendeutsche nach dem Zweiten Weltkrieg vertrieben wurden, landeten über 100 Familien aus der Region Wagstadt in der Rhön. Das Chortreffen führte dazu, dass Menschen aus beiden Ländern Verwandte treffen oder kennenlernen konnten, zu denen der Kontakt nach 1949 abgebrochen war. Die Stadt Bad Neustadt und Bilovec verbindet deshalb seit 2001 eine Städtepartnerschaft. 26 Besuche und Gegenbesuche fanden seither statt.
Ebenfalls seit dem Jahr 2000 besteht eine Freundschaft mit dem Jubiläumschor Oberhof, mit dem sie zum Beispiel im letzten Jahr die lange Einkaufsnacht auf dem Marktplatz musikalisch umrahmten.
Erstmals steht eine Frau am Pult
Von den zahlreichen Dirigenten war vor allem Erhard Nowak prägend, der den Chor von 1970 bis 2014 leitete. Seine Nachfolgerin ist Eva Duda, erstmalig steht damit eine Frau am Pult. Das traditionelle Repertoire von Männerchören, vor allem Volkslieder, werden gerne gesungen, man zeigt sich aber durchaus aufgeschlossen für Neues. Derzeit werden auch modernere Arrangements eingeübt. Etwa 40 Proben und 15 bis 20 Auftritte werden jährlich durchgeführt. Wie überall ist es derzeit um den sängerischen Nachwuchs schlecht bestellt. 19 aktive Sänger sind noch dabei, Tendenz sinkend. Geprobt wird jeweils donnerstags um 17:45 Uhr im Rhön-Gymnasium. Gäste sind herzlich willkommen.
Das Jubiläumsjahr startet am 23. März mit einer Festveranstaltung. Dem "Sängerkranz 1850", der die Stadtkultur seit 175 Jahren so nachhaltig geprägt hat, ist zu wünschen, dass er Bad Neustadt noch viele Jahre musikalisch und gesellschaftlich aktiv mitgestaltet.