Der 58-Jährige ist seit 25 Jahren Jäger. Sein Staatsjagdrevier in der Abteilung Feldberg am Ortsrand von Schmalwasser ist ein kleines Revier, das zum Forstbetrieb Bad Brückenau und zur Rotwild-Hegegemeinschaft Bayerische Rhön, Reviergruppe Bad Neustadt, gehört.
Hirsche hat er hier im Randbezirk des Salzforstes noch nicht gesehen. „Das ist mein erster Hirsch überhaupt“ sagt er. Und fügt an: „Es war schon immer mein Traum, in meinem kleinen Revier einen Hirsch zu erlegen.“ Sentler freut sich nun natürlich umso mehr, dass ihm das gelungen ist.
Aufmerksam war Sentler auf den mächtigen Revierbesucher anhand der Schäl- und Fegeschäden geworden. „Seit vier Wochen habe ich ihm nachgespürt, ihn aber nie zu Gesicht bekommen“, sagt er. Der vermutete Einstand (Aufenthaltsort) lag nicht weit vom Erlegungsort. Durch die schlechten Witterungs- und Windverhältnisse war es für Sentler schwierig, den Hirsch anzugehen. Er musste den Ansitz immer wieder abbrechen, damit der Hirsch nicht misstrauisch und verschreckt wurde. Denn Rotwild reagiert sehr empfindlich.
Um den Hirsch kontrolliert nachweisen zu können, habe er ihn mit Äpfeln täglich angefüttert, berichtet Sentler. „Der Hirsch hat jeden Tag einen 15-Liter-Eimer mit Äpfeln verputzt.“ Im August ist Feist-Zeit. Da bereiten sich die Hirsche auf die Brunft vor, kommen häufiger aus dem Dickicht und nehmen verstärkt Futter auf, um Kraft anzusammeln.
Eigentlich wollte Sentler, da Blattzeit für Rehwild ist, nach einem Rehbock ansitzen. Außerdem waren Sauen im Revier. So entschied er am ersten Samstag im August, die ganze Nacht draußen auf dem Hochsitz zu bleiben, zumal es sein letzter Urlaubstag war. Am Sonntag um 4.45 Uhr habe sich der Hirsch dann, wie Sentler berichtet, zum ersten Mal gezeigt. Er kam auch aus der vermuteten Richtung.
Mit dem Fernglas sah der Jäger, dass sich das Tier merkwürdig verhält. Im Geweih hatten sich Stricke verschlungen. Anhand seiner Gebärden – der Hirsch schüttelte immer wieder den Kopf und steckte ihn ins Heidekraut – erkannte der Jäger, dass das Tier verletzt war. Aus etwa 70 Metern Entfernung erlegte er ihn mit einem Hochblattschuss.
„Es war für mich in erster Linie ein Hegeabschuss, um den Hirsch von seinem Leiden zu erlösen“, sagt Sentler. Denn wie sich herausstellte, hatte sich ein Stück Elektro-Weidezaun um das Geweih verwickelt und bereits tief in den rechten Lauscher (Ohr) eingeschnitten. An der Wunde hatte sich eine Infektion gebildet, die, wie der Jäger vermutet, dem Tier starke Schmerzen verursacht hat. Der Hirsch konnte sich selbst nicht mehr von den Plastikstricken befreien und wäre vermutlich in absehbarer Zeit verendet, wenn er damit in der Dickung hängen geblieben wäre. Sentler schätzt, dass sich der Hirsch etwa vor drei Wochen in einen Elektrozaun verheddert hat.
Wie Sentler berichtet, hatte sein Jagdkollege Siegbert Leiber aus Sandberg in seinem Pirschbezirk im Burgwallbacher Forst den Eins-A-Hirsch (so wird ein reifer Hirsch genannt, der eine beidseitige Krone besitzt) schon seit mehreren Jahren gesehen; zuletzt heuer im Frühjahr im Bast.
Als die Nachricht von Sentlers Waidmannsheil die Runde machte, kamen Jagdkollegen aus dem Umkreis und auch etliche Schmalwasserer zum Schlachthaus, um das Tier zu begutachten und dem Jäger zu gratulieren. Der Einser-Hirsch erinnerte an alte Jagdzeiten. Denn der Salzforst war früher bekannt für seinen reichen Rotwild-Bestand. Davon zeugt heute noch das Gasthaus „Zum Hirschen“ – und auch der Dorfname der Schmalwasserer, die „die Hirschen“ genannt werden.
Berthold Schwarz, langjähriger Jagdberater des Landkreises Rhön-Grabfeld, Rotwild-Sachverständiger und Reviergruppensprecher, hat das Tier eingewertet. Das Alter wurde „mindestens auf den zwölften Kopf“, also auf 13 Jahre, eingeschätzt. Aufgebrochen brachte der 16-Ender ein Gewicht von 155 Kilogramm auf die Waage. Sein Geweih wiegt rund sechs Kilogramm. „Es ist außergewöhnlich, dass es schon der zweite Hirsch in diesem Jahr ist, der einen Draht um das Geweih gewickelt hat“, stellte Schwarz fest. Denn im Revier Unterweißenbrunn war heuer bereits ein Zweier-Hirsch mit diesem Handicap gestreckt worden.