Wie ein Echo aus längst vergangenen Tagen höre ich seine Stimme. Eine Stimme, die herüberweht aus den Jahren, in denen am Meininger Theater noch gespielt wurde, als sei jede Vorstellung ein Signal an den Rest der Welt: „Seht her, uns gibt es wieder – und wie! Wir brennen für unser Theater.“
Einer, der für sein Theater brannte, ohne dass er sich an die Rampe stellen musste, um dabei gesehen zu werden, einer dieser Bühnenkünstler, die das Meininger Theater in den 1990er Jahren wieder ins Zentrum der öffentlichen Aufmerksamkeit gerückt haben, war Helge Lang. Ein großer Schauspieler von kleiner Statur mit einer markanten Stimme – die noch an etwas erinnerte, was heute häufig vernachlässigt wird: an eine Kultur des Sprechens, ohne die ein dargestellter Mensch niemals zu einem wahrhaftigen Charakter reifen kann.
Helge Langs Stimme, seine unnachahmliche Art, sich in die Welt seiner dargestellten Charaktere einzufühlen und dabei seine eigene Persönlichkeit respektvoll zurückzunehmen, könnte man als Beleg einer vom Aussterben bedrohten, wahrlich noblen Tugend von Künstlern begreifen, die im Rampenlicht stehen: der Uneitelkeit.
Vor Kurzem ist Helge Lang im Alter von 62 Jahren nach langer Krankheit gestorben. Seinen letzten Auftritt hatte er 2009 als Philemon in „Faust II“. Trotz der langen Bühnenabstinenz bleibt er – im Gegensatz zu vielen Künstlern, die seither gekommen und gegangen sind – eigentümlich präsent.
Was mir von ihm in Erinnerung bleibt, hat so gut wie nichts mit seinem Leben jenseits der Bühnenbretter zu tun. Dennoch sind in diesem Zusammenhang ein paar biografische Sätze wichtig: Zur Welt kamen die Zwillingskinder Helge und Uwe in Mageburg. Aufgewachsen sind sie, gewissermaßen auf Theaterwanderschaft, als Sprösslinge des Schauspielerpaars Ursula Schleicher und Walter Lang, das sich am Meininger Theater kennengelernt hatte. Nach einer Lehre als Schienenfahrzeugelektriker bewarb sich Helge Lang als Zwanzigjähriger mit Erfolg an der renommierten Schauspielschule „Ernst Busch“ in Berlin. Seit 1976 gehörte er mit Leib und Seele zum Ensemble des Meininger Theaters.
Entscheidend für die Güte der Schauspielkunst ist und bleibt Wahrhaftigkeit und Glaubwürdigkeit, mit der ein Charakter auf der Bühne verkörpert wird, egal ob er real ist oder eine Fantasiegestalt. Das Erstaunliche ist, dass, wenn ich an Helge Lang denke, mir immer erst seine Rolleninterpretationen in den Sinn kommen, bevor mir die Geschichte dazu einfällt. So wird Langs Puck lebendig, bevor sich die Handlung von Shakespeares „Ein Sommernachtstraum“ aus dem Nebel der Erinnerung hebt. Lebendig und nahezu greifbar real wird er als Großmutter in Horváths „Geschichten aus dem Wienerwald“, als Drache in Jewgeni Schwarz' Märchen „Der Drache“, als Frosch in der „Fledermaus“, als uralter Diener Firs in Tschechows „Kirschgarten“, als Hotte in Oliver Bukowskis „Bis Denver“ (neben Michael Kinkel) oder als Lucky in Becketts „Warten auf Godot“ (neben Hans-Joachim Rodewald).
Jetzt ist Helge Lang gestorben, aber die, die ihn vielleicht auch nur in wenigen seiner 140 Rollen in über 30 Jahren auf den Meininger Bühnenbrettern erleben durften, denen wird der große Schauspieler von kleiner Statur mit der markanten Stimme und dem empathischen Spiel nicht aus dem Sinn gehen. Wer ihn kannte, der wird ihn in jenen stillen Augenblicken, kurz bevor sich der Vorhang des Meininger Theaters zu irgendeinem ersten Akt öffnet, vielleicht leise flüstern hören – als eine jener Stimmen, die das Theater in den Jahrzehnten des Umbruchs und des Neubeginns so unverwechselbar gemacht haben. Tröstlich ist, dass seine Tochter Juliane in seine Fußstapfen getreten ist und Schauspielerin wurde.
Nachsatz. Kleine Anekdote zur Bühnenpräsenz Helge Langs: Der junge Schauspieler trat 1976 zum Vorsprechen in Jesuslatschen von hinten aus dem Dunkel des Raums kommend auf die Bühne des Meininger Theaters. Als er die Mitte der Bühne erreicht hatte, ohne ein Wort gesprochen zu haben, rief der damalige Oberspielleiter Albert R. Pasch: „Engagiert!“