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WILDFLECKEN: Hippie-Soldaten belebten die Szene

WILDFLECKEN

Hippie-Soldaten belebten die Szene

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    Hippie-Soldaten belebten die Szene
    Hippie-Soldaten belebten die Szene

    „Es gab so viele Kneipen wie sonst nirgends in der Gegend“, erinnert sich Jürgen Fechter an die bunten Siebziger in Wildflecken. Mindestens zwölf Lokalitäten fallen ihm auf Anhieb ein. Die Zeit war für den heute 57-Jährigen schon deshalb legendär, weil er Anfang der 70er auf ein Zeitungsinserat hin als Schlagzeuger ein Intermezzo bei den legendären Scorpions in Hannover gab.

    Von Kindesbeinen an war er in der Kneipenszene von Wildflecken aufgewachsen. Seine Eltern betrieben das Bräustüble und später die Diskothek Holiday. Nach dem Intermezzo bei den Scorpions kehrte er aus Liebe als Diskjockey in seine Heimat zurück. Heute bewohnt er das frühere Elternhaus. Dort verrät nichts mehr, dass einst im Erdgeschoss bis zu 100 Gäste abrockten. Nur die Toiletten sind noch da, wo sie einst waren. Verschwunden sind Tresen, Empore für den Mann an den Plattentellern und die kleine Küche.

    Die Spurensuche zu jenen bewegten Jahren in Wildflecken ist nicht einfach. „Es gab mindestens zwölf Kneipen“, versucht Fechter eine Bestandsaufnahme. Gesprächspartner zu finden, ist nicht leicht. Manche der Wirte leben nicht mehr, andere sind jenseits der 80.

    Fechter redet gerne über die „schöne Zeit“. Wirtschaftsförderer waren damals die am Ort stationierten Amerikaner. Die hatten Geld und hauten es gerne auf den Kopf. Da bekam man als Kind auf der Straße schon mal einen Dollar zugesteckt. „Klein-Amerika“, so hieß Wildflecken damals. Der Metzger warb an der Hausfassade auch als Butcher, die Bäckerei als Bakery.

    Viele Kneipennamen gehen ihm im Kopf herum. Vom Soul In, zunächst vorwiegend für Schwarze, über das Zwei Tannen vorwiegend mit deutschen Schlagern über das Orion, den Esquire Club, die Femina-Bar, über das Silberstübchen eben bis zum Holiday. Schwarz und Weiß gingen lange getrennt aus, bis sich das überholte.

    Fechter legte im Holiday Rockmusik auf. Von Led Zeppelin über Doors bis The Who. „Der Zusammenhalt zwischen Deutschen und Amerikanern war einmalig“, schwärmt er. US-Soldaten hätten mit tapeziert und hergerichtet, darunter auch viele Vorgesetzte.

    Es müsse wohl mit der Flower-Power-Zeit zu tun gehabt haben, dass die Hippie-Soldaten so entspannt gewesen seien. Und vielleicht auch damit, dass seinerzeit straffällige Heranwachsende zwischen Knast in der Heimat oder Wehrdienst in Übersee wählen konnten.

    Dem Alkohol sei schon vorher kräftig zugesprochen worden, im Laufe der Jahre eher den Drogen. Das hätten viele Wirte am Umsatz gemerkt. Aber auch am Verlangen vieler Diskothekenbesucher nach Süßem. Warmer Kakao war ein Renner, aber auch spezielle Sandwiches, für die das Holiday legendär gewesen sei. Neben dem Holiday habe es die Shit-Wiese gegeben, wo die Amerikaner schon mal einen Joint rauchten und gleichaltrige Einheimische dazu einluden. Für diese meisten nur eine Episode. „Andere haben übertrieben, sind hängengeblieben“, bedauert Fechter. „Die höheren Dienstgrade haben heimlich geraucht, ist sich Fechter sicher.

    Unrühmliche Begleiterscheinung seien Schlägereien gewesen. In Erinnerung hat Fechter vor allem die zwischen US-Soldaten und deutschen Fallschirmjägern. Gnadenlos habe die Militärpolizei mit Schlagstöcken interveniert, vor allem die Polizistinnen hätten einen brutalen Ruf gehabt.

    Gerne würde Fechter Bilder aus den Siebzigern zeigen. Viele seien jedoch bei einem Brand verloren gegangen. Darunter auch von Weihnachtsfesten, bei denen seine Eltern immer junge GIs eingeladen hatten. „Die Jungs hatten verdammtes Heimweh“, erinnert sich der einstige Gastronom. Sie revanchierten sich für den Familienanschluss zu Weihnachten auf ihre Weise. Zu einem Auftritt der Gruppe Grand Funk in der Schweinfurter Kaserne durfte Fechter mit anderen Fans auf der Pritsche eines Militärlasters mitfahren. „Irgendwann war das alles rum“, beschreibt Fechter einen Mentalitätswandel, der sich auch auf die Gastronomie auswirkte. Möglicherweise hatte das mit der Umwandlung der US-Armee in eine Freiwilligen-Truppe zu tun. Fechter hat die Gesichter früherer Freunde noch vor Augen. Es macht ihn nachdenklich, dass man im Facebook-Zeitalter gar nichts voneinander hört.

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