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MEININGEN: Im Zeitalter der Fische

MEININGEN

Im Zeitalter der Fische

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    Jugend ohne Gott: Horváths Roman diente als Vorlage für das Bühnenstück, das am Meininger Theater zu sehen ist.
    Jugend ohne Gott: Horváths Roman diente als Vorlage für das Bühnenstück, das am Meininger Theater zu sehen ist. Foto: Foto: Sebastian Stolz-filmwild.de

    „Es kommen kalte Zeiten, das Zeitalter der Fische. Da wird die Seele des Menschen unbeweglich wie das Antlitz eines Fisches.“ – Ein Satz aus Ödön von Horváths Roman „Jugend ohne Gott“, der einen erschaudern lässt, angesichts des momentan forschen Wachstums von Angst, Gleichgültigkeit und Hass.

    Der Satz ist 80 Jahre alt. Horváth legt ihn einem vom Dienst suspendierten Lehrer in den Mund. Wenn der Satz in den Meininger Kammerspielen fällt – in der Bühnenfassung des Romans von Martina Gredler, die auch Regie führt –, wenn der Satz fällt, hält man für Augenblicke den Atem an. Wie die Hauptperson – ein humanistischer aber dennoch angepasster Lehrer, gespielt von Vivian Frey – erschrickt man über die Bereitschaft der Mehrzahl der Schüler seiner Klasse, sich den Parolen mächtiger Vereinfacher anzuschließen. Zwar wird im Roman der NS-Staat nicht ausdrücklich erwähnt, aber natürlich weiß jeder, wo man die Geschichte ansiedeln kann: In Nazi-Deutschland ebenso wie in jedem diktatorischen Staat, in dem den Menschen ein Gut-Böse-Weltbild der einfachen Lösungen indoktriniert wird.

    Horvaths Detailblick auf die Verrohung einer Gesellschaft kann man im bestimmbaren historischen Kontext auf die Bühne bringen. Wie in der Romanvorlage, mit dem Lehrer als Ich-Erzähler. Oder man stellt sie in einen abstrakten Raum. Die Regisseurin und ihre Ausstatterin Anneliese Neudecker entscheiden sich für den zweiten Weg. Vielleicht in der Absicht, gerade jungen Zuschauern die Verknüpfung zum heutigen Leben zu erleichtern. Die Schauspieler und Schauspielerinnen, die in alle möglichen Rollen schlüpfen – Schüler, Eltern, Pfarrer, Lehrer, Richter, etc. –, bewegen sich pausenlos über, neben, auf und zwischen vier längsseits liegenden abgestuften Röhren. Kriechend, sitzend, liegend, ruhend, kletternd, stehend. Meist sehen sie sich in den Dialogen nicht an, sondern sprechen frontal in Richtung Publikum.

    In der abstrakten Version geraten Beziehungen und Motive der Personen allerdings in den Hintergrund. Die Mechanismen angepassten Verhaltens werden nur als Handlungsmuster angedeutet, nicht im sozialen Kontext. So bekommt das Ganze etwas Lehrstückhaftes. Eine Identifikation der Zuschauer mit den Personen entsteht nicht. Dafür werden szenische Stimmungen bis über die Schmerzgrenze hinaus verstärkt, um die Unbedingtheit des Systems zu verdeutlichen, etwa durch rhythmisches Basswummern bei Szenen kollektiver Gewalt.

    Im Grunde ist das symbolisches Beiwerk zur Verdeutlichung des fanatisch Ritualisierten, das man eigentlich nicht braucht, um sich in die Situation hineinzufühlen.

    Die Fanatisierung Jugendlicher ist nur ein Aspekt der Handlung. „Jugend ohne Gott“ heißt im weiteren Sinn Jugend ohne Wahrhaftigkeit, Gerechtigkeitssinn, Menschenliebe und Zivilcourage. An der einen oder anderen Primärtugend mangelt es auch dem Lehrer. Er ist anfangs zwar kein Parteigänger, aber eben auch kein aktiver Gegner des Systems. Er ist ein Opportunist mit schlechtem Gewissen. Erst seine unrühmliche Verquickung in das tragische Geschehen während eines Wehrertüchtigungslagers der Jungmänner, bei dem ein Schüler ermordet wird, öffnet ihm die Augen. Respekt gilt den Schauspielern Vivian Frey, Carla Witte, Hagen Bähr, Peter Liebaug, Anna Krestel, Kathrin Horodynski und Meret Engelhardt. Zwar lässt ihnen die Inszenierung keinen Freiraum, ihre Charaktere auszuspielen. Die blitzen nur kurz auf. Aber der stete Wechsel der Szenen und der atemlose Rhythmus erfordern von den Akteuren enorme Wandlungsfähigkeit und Wortpräsenz. Was dabei verlorengeht, ist die Nähe, die eine erzählerische Form der Geschichte schaffen würde. Siggi Seuss

    Nächste Vorstellungen: 18. und 24. Juni, jeweils 20 Uhr. Karten unter Tel. (0 36 93) 451 222. www.das-meininger-theater.de

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