Corona ist schon für Erwachsene eine riesige Belastung - wie mag es dann erst Kindern ergehen, die seit Monaten eine Welt im Ausnahmezustand erleben? Irina Schneider vom Haus am Kurpark ist Heilpädagogin im Kinderhaus, das zur Mutter-Kind-Kureinrichtung in Bad Königshofen gehört. Dort wurde ein Konzept entwickelt, das Kinder unterstützt, die aufgrund verschiedenster Lebenssituationen Probleme im emotionalen und sozialen Bereich haben. Das Konzept soll die Kinder stärken, eigene Ressourcen zu entdecken und Strategien zur Bewältigung individueller Probleme an die Hand geben. Strategien, die auch in Corona-Zeiten taugen.
Frage: Was macht den Kindern in der Corona-Krise besonders zu schaffen?
Irina Schneider: Beim ersten Lockdown wurde den Kindern alles weggenommen, was die Welt kindgerecht macht. Spielplätze wurden dicht gemacht, Sport- und Freizeiteinrichtung durften nicht mehr besucht werden, Schulen und Kindergärten geschlossen. Die Kinder durften ihre Freunde nicht sehen. Unterhält man sich dieser Tage mit Kindern, merkt man, sie haben eine eigene Zeitrechnung: Es gibt die Zeit vor Corona und es gibt die Zeit mit Corona.
Was macht das mit den Mädchen und Jungen?
Schneider: Für viele Kinder ist diese Zeit mit Ängsten, Wut und starken Emotionen verbunden. Warum durfte ich Oma und Opa nicht sehen? Wir durften nicht in die Schule! Wir müssen Mundschutz tragen! Wiederholt sich das alles? Das sind Fragen, die die Kinder beschäftigen, ihnen Angst oder sie wütend und traurig machen.
Welche Erfahrungen haben Kinder gemacht?
Schneider: Während des Lockdowns fühlten sich viele wie eingesperrt, ihnen war langweilig. Bei uns auf dem Land hat man einen Garten oder die Natur vor der Tür. Das haben Kinder in einem Wohnblock mit einem Kinderzimmer, dass sie sich mit Geschwistern teilen müssen, eben nicht. Da gibt es keinen Rückzugsraum und ihren Bewegungsdrang können sie auch nicht ausleben. Da kann das Aggressionspotential schon steigen. Viele Kinder haben vielleicht schlimme Erfahrungen in ihren Familien gemacht und reagieren dann mit Rückzug, Trauer oder Wut.
"Nehmen Sie sich Zeit für ihre Kinder und nehmen sie die Kinder ernst."
Irina Schneider, Heilpädagogin im Haus am Kurpark
Wie sollten Eltern reagieren?
Schneider: Kinder brauchen jetzt Eltern, aber auch Lehrer und Erzieher, die sie ernst nehmen und sich Zeit für ihre Fragen nehmen. Und sie sollten ihnen sachliche und altersentsprechende Erklärungen geben und Möglichkeiten, sich damit auseinanderzusetzen.
Nicht leicht. Viele Erwachsene wissen doch selber nicht, wie sie mit der Pandemie klar kommen sollen.
Schneider: Eltern sind Vorbilder und Kinder lernen am Modell. Ihre Kinder werden so mit der Pandemie umgehen, wie sie es ihnen vorleben. Deshalb müssen Mütter und Väter erst einmal für sich selbst klären: "Wie reagiere ich auf die Pandemie - vernünftig, panisch, oder leugne ich sie?"
Wie sieht ein erfolgversprechender Ansatz aus?
Schneider: Wichtig ist, dass man den Kindern Corona kindgerecht erklärt. "Das ist eine sehr ansteckende Krankheit. Um uns selbst und Oma und Opa zu schützen, waschen wir oft die Hände, tragen eine Maske und halten Abstand." Es macht überhaupt keinen Sinn, Dreijährigen Sterberaten erklären zu wollen. Das verstehen sie nicht und würde sie überfordern.
Was sollte man vermeiden?
Schneider: Panik. Es ist wichtig, dass man einen normalen Umgang mit der Pandemie findet. Und es ist wichtig, darauf zu achten, was man sagt und wie man es sagt. Eine Freundin hat mir kürzlich erzählt, ihre kleine Tochter habe auf dem Weg zum Schulbus bemerkt, dass sie ihre Maske vergessen hat. Die Kleine hat sofort kehrt gemacht und ist in Tränen ausgebrochen. Meine Freundin hat super reagiert. "Du musst nicht wegen einer Maske weinen. Es gibt viel Schlimmeres als die Maske zu vergessen. Wir packen eine ein und ich fahre dich zur Schule."
Worauf sollte man achten?
Schneider: Den Optimismus nicht verlieren. Man kann den Kindern auch signalisieren, dass dies gerade eine verrückte Zeit ist und dass sich das auch wieder ändern wird.
Was können Eltern tun, wenn ihre Kinder große Angst vor Corona oder Wut wegen Corona zeigen?
Schneider: Verständnis zeigen! Mit den Kindern besprechen was sie verängstigt, was sie wütend macht. Sie danach fragen, was ihnen helfen könnte beziehungsweise ihnen mögliche Umgangsstrategien an die Hand geben und ihnen immer wieder signalisieren: "Wenn du uns brauchst sind wir für dich da." Nehmen Sie sich Zeit für ihre Kinder und nehmen sie die Kinder ernst.
Haus am KurparkDas Haus am Kurpark ist ein Mutter-Kind-Kurhaus für Mütter und Kinder. Die Behandlung der Mütter deckt folgende Krankheiten ab: psychosoziale Krebsnachsorge, Übergewicht, Krankheiten des Muskel-Skelett-Systems und des Bindegewebes, Kopfschmerzen, Krankheiten des Atmungssystems, Krankheiten des Nervensystems, psychische Störungen, allgemeiner Erschöpfungszustand und Folgen von Stressbelastung.Indikationen für Kinder, die im Kinderhaus betreut werden, sind Entwicklungsstörungen, Verhaltens- und emotionale Störungen, Krankheiten des Atmungssystems, Krankheiten des Muskel-Skelett-Systems und des Bindegewebes, Stoffwechselkrankheiten, Fettleibigkeit, angeborene Fehlbildungen, allgemeiner Erschöpfungszustand und Folgen von Stressbelastung.Vor einigen Jahren hat sich ein Förderverein gegründet, der die Interessen und Bedürfnisse der Kinder der Einrichtung gezielt unterstützt. Aktueller Vorsitzender ist der örtliche Kinderarzt Dr. Peter Schmidt. Da viele Familien aus ganz Deutschland anreisen und nur wenige aus der Region gibt es nur wenige örtliche Spendengeber, die einen Bezug zu den Kindern und den Themen der Einrichtung haben. Daher ist das Haus am Kurpark sehr dankbar für den bestehenden Förderverein und sein positives Wirken für die Kinder der Einrichtung.Irina Schneider absolvierte schon ihre Ausbildung zur Erzieherin im Kinderhaus. Die Mutter einer Tochter machte eine Weiterbildung zur Heilpädagogin und ist seit mittlerweile 20 Jahren in der Einrichtung tätig. ts