Dr. Hans-Ullrich Schmähling weiß gegen viele Dinge ein Mittel. Aber gegen ein Leiden hat er keine Medizin. Hans-Ullrich Schmähling will seine Hausarzt-Praxis in Brendlorenzen seit geraumer Zeit verkaufen. Doch einen Nachfolger, der seine Patienten und deren Kinder betreut, hat er trotz aller Mühen nicht finden können.
Seit dem 1. April 1974 praktiziert der Arzt in der Nordlandstraße von Brendlorenzen. Damals war er in die Fußstapfen seines Vaters getreten. „Mein Vater hat selbst noch mit über 70 Jahren Patienten empfangen“, erinnert sich Schmähling. „Aber ganz ehrlich: so lange will ich nicht mehr“.
In wenigen Wochen wird Schmähling runde 65. Noch drei Jahre könnte laut Gesetzgeber praktizieren. Dann müsste er die Praxis verkaufen oder die Zulassung zurückgeben. Noch drei Jahre bleiben ihm, sein Lebenswerk in jüngere Hände zu übergeben.
Fälle wie die seines Kollegen Hans-Ullrich Schmähling kennt Dr. Günter Fröhling nur zu gut. Der Allgemein- und Sportmediziner mit seiner Praxis auf dem Veitsberg in Hohenroth ist nicht nur als Dienstgruppenleiter der Kassenärztlichen Vereinigung engagiert, sondern auch im Vorstand des ärztlichen Kreisverbandes.
„Ja, das Problem ist manifest“, sagt der Mediziner. Dass 40 Prozent der bayerischen Hausärzte in den nächsten fünf Jahren das Pensionsalter erreichen, treffe in etwa auch auf den Landkreis zu. „Auch bei uns beträgt das Durchschnittsalter rund 58 Jahre“, sagt Fröhling. „Wir machen uns durchaus Sorgen, was den Ärzte-Nachwuchs in Rhön-Grabfeld betrifft“, fügt der Mediziner hinzu. Immerhin gelte es für viele Kollegen, eine Wertschöpfungskette, eine Lebensleistung zu bewahren.
Es geht um die Patienten
Mit ängstlichen Augen blickt Dr. Schmähling nicht in die Zukunft. „Wer im Alter noch seine Praxis zum Überleben braucht, der hat zuvor etwas falsch gemacht“, zeigt sich der Brendlorenzener Arzt diesbezüglich gelassen. Er denkt dagegen vor allem an seine angestammten Patienten, denen er gerne einen Nachfolger präsentieren würde.
„Natürlich habe ich in der Ärztezeitung inseriert und auch auf entsprechenden Internetseiten. Aber die wenigen, die sich gemeldet haben, haben dann doch abgewunken“, erzählt Schmähling. Wahrscheinlich waren dem Berliner Kollegen die Reize der Rhön nicht ganz einfach klarzumachen, einem Meininger Theater, einem Kissinger Somer und reichlich Natur zum Trotz. Die Infrastruktur auf dem Land spielt auch ein Rolle, aber nach Meinung des Ärzte-Vertreters Dr. Fröhling nicht die entscheidende. „Die demografische Entwicklung ist seit vielen Jahren bekannt. Immer ältere Mediziner müssen immer mehr ältere und damit kränkere Patienten betreuen“, klagt der Standesvertreter über eine verfehlte Gesundheitspolitik der letzten Jahre.
Das Hausarztmodell der Krankenkassen habe den Allgemeinmediziner zwar wieder an die erste Stelle der ärztlichen Versorgung gerückt. Doch vor allem der Bürokratismus sei eine große Last, die vor allem auf kleineren Praxen auf dem Land lastet. „Nehmen Sie das Thema Kur. Hier müssen unsere Patienten doch tatsächlich einen Antrag auf Ausstellung eines Antrag-Formulars stellen“, nennt Fröhling ein konkretes Beispiel. Auch die so genannten Desease-Management-Pläne, in denen die Kranken- und Behandlungs-Geschichte dokumentiert werden muss, binde viel Personal, klagt Fröhling. „Es ist höchste Zeit, die Rahmenbedingungen zu ändern“, sagt der Arzt. Doch eigentlich sei das Kind schon in den Brunnen gefallen.
„Ich glaube eigentlich nicht mehr, dass sich das Niveau der Versorgung in der Breite in den nächsten Jahren halten lässt“, ist Fröhling eher pessimistisch. „Unsere warnenden Stimmen hat niemand hören wollen“, so der Hohenrother Arzt. Gleichwohl hält er die Etablierung von Medizinischen Versorgungszentren nicht für den richtigen Weg. „Die alten Menschen brauchen Zuwendung, und zwar in Heimatnähe, und keine industrialisierte Medizin, die durch Großkonzerne angeboten wird“, findet er kritische Worte.
Die Idee des Landrates Thomas Habermann, die Hausärzte-Zulassungen in einem kreiseigenen Versorgungszentrum zu bündeln, um so die Hausarzt-Versorgung im Landkreis sicher zu stellen, sieht der ärztliche Kreisverband zweischneidig. Fröhling sieht einerseits darin den wünschenswerten Versuch, politische Versäumnisse auszugleichen.
Andererseits sehen viele Kollegen in einer derartigen Konstellation auch ihre Freiberuflichkeit in Gefahr. Fröhling jedoch sieht die Schwierigkeiten, eine junge Ärzteschaft auf das flache Land zu locken. „Die werden schon an den Universitäten mit verlockenden Angeboten ins Ausland gelockt, das hat natürlich seinen Reiz“, meint der Ärzte-Vertreter weiter.
Hausbesuche bis heute
Während seine Nicht-Nachfolger in Großbritannien oder Norwegen ihre ersten Erfahrungen als Ärzte sammeln, macht der 65-jährige Dr. Schmähling, wie schon in all den anderen bald 44 Jahren seiner Berufspraxis, seine Hausbesuche in Bad Neustadt und dem näheren Umland.
Der Arzt aus Berlin, der einige Jahre England-Erfahrung als „General Practitioner“ hinter sich hat und doch nicht nach Brendlorenzen ziehen konnte, wird sich wie andere gewundert haben, dass noch derart selbstverständlich Hausbesuche unternommen werden.
„Früher haben die Hausärzte 70 Prozent der Behandlungen durchgeführt, 20 Prozent die Fachärzte und zehn Prozent das Krankenhaus. Heute ist es genau umgekehrt“, findet Schmähling eine griffige Erklärung für die Krise des Gesundheitssystems. Auch Schmähling leidet unter der Bürokratie, aber im Rückblick sagt er dann doch: „Wenn es so bliebe, wie es ist, dann würde ich auch heute wieder Arzt werden.“ Der Satz könnte trotz der aktuellen Krise auch Jüngeren Mut machen.
Wie wenig das Aufgeben die Sache Dr. Schmählings ist, zeigt die Siegerurkunde, die in seinem Sprechzimmer hängt. Der dritte Platz beim Forchheimer Marathon in der Klasse der M60. „Meinen ersten Marathon lief ich mit 58 Jahren“, sagt Schmähling. Das Bild des Läufers trifft es. Es geht nicht darum, vor der Gegenwart wegzulaufen. Es geht vielmehr darum, durchzuhalten.
Im Blickpunkt
Hausärzte in Rhön-Grabfeld
Nach dem Datenbestand des Landesamtes für Statistik praktizierten 2007 insgesamt 118 niedergelassene Ärzte, 236 waren in Krankenhäusern tätig. Die Ärztedichte im Landkreis beträgt 714 Einwohner pro Arzt, im bayernweiten Durchschnitt sind es 532 Einwohner pro Mediziner. Die Spanne reicht von rund 300 Einwohnern pro Arzt in Würzburg bis zu mehr als 1100 Einwohnern je Arzt im Landkreis Coburg.