Doch nicht nur für kleine humoristische Einlagen sorgte das Moderatoren-Team, sondern auch für lyrische Momente mit Rilke und Mörike sowie für kundige Einführung und Überleitungen. Herbst, das könne schließlich zweierlei bedeuten, erklärte Fred Rautenberg: Melancholie und innere Einkehr, aber auch Festtagsfreude.
Entsprechend breit gefächert war auch die Palette der Emotionen, die die drei Vorleserinnen Peggy Geßner, Inge Storath und Sigrun Kowalski den Zuhörern eröffneten. „Käme doch der Schnee“, lautete dabei der Titel und der erste Satz der Erzählung von Gabriele Wohmann, die Peggy Geßner beitrug. Im Herbst steht eben auch der Winter bereits vor der Tür, und mit ihm die Notwendigkeit der Entscheidung für die namenlose weibliche Hauptfigur der Erzählung: Mit den heimlichen Treffen mit dem Geliebten auf einsamen Parkbänken wird es nämlich angesichts der Witterung bald vorbei sein.
Und nun? Heirat oder Trennung? Sie weiß es selbst nicht so recht, die Frau, sie weiß nur, dass sie nicht weg will von dieser Bank und sich gar nicht sehnt nach Wärme unter der Haut, wie sie sie spüren konnte, zuhause, bei ihrem Kind, mit dem Radio der Nachbarn von unten her. Vergeblich sucht sie nach „Zeichen“ bei den Krähen, die sich im nahen Feld sammeln. Und so wünscht sie sich den „Schnee wie Schlaf“ herbei: Bewusstlosigkeit angesichts einer Entscheidung, die sie nicht zu treffen vermag und die sie auch mit dem Ende der Erzählung nicht treffen wird.
Der Herbst ihres Lebens bedeutet einen Umbruch für eine alte Dame: In Bertolt Brechts Kalendergeschichte „eine unwürdige Greisin“, vorgetragen von Inge Storath, bricht Frau B. nach dem Tod ihres Mannes mit dem bisherigen Leben, sehr zum Entsetzen insbesondere ihres jüngsten Sohnes, der gar nicht fassen kann, welche Freiheiten sich seine Mutter herausnimmt: Sie besucht die respektablen Kaffeezirkel nicht, bisweilen geht sie sogar ins Kino! Dass es dem Sohn dabei weniger um das Wohl seiner Mutter als vielmehr um die mögliche Verminderung seines Erbes geht, das lässt der ironische Ton der Geschichte nur durchblicken.
Zeit der Umbrüche
Essen gehen, wo sie bisher für ein halbes Dutzend Menschen gekocht und selbst nur die Reste gegessen hat, ihre Zeit mit selbstgewählten Freunden statt mit der Familie zu verbringen, „wohin zu müssen“ statt das Grab ihres Mannes zu besuchen: das sind keine großen Rebellionen, möchte man meinen - und täuscht sich damit. Denn es ist ein ganz anderes Leben, das die „unwürdige Greisin“ nun führt. Nach sechs Jahrzehnten als Tochter, Frau und Mutter ist sie nun einfach Frau B., nach langen Jahren der Knechtschaft erlebt sie nun eine kurze Zeit der Freiheit.
Zwei Kurzgeschichten aus der mehrteiligen Reihe „Chicken Soup fort he Soul“, zu deutsch „Hühnersuppe für die Seele“ von Jack Canfield und Mark Viktor Hansen hat Sigrun Kowalski für ihre Zuhörer ausgewählt. In „Der Gute-Nacht-Kuss“ wird dabei ein rührendes altes Paar geschildert, dass es geschafft hat, seine Liebe über die Zeit nicht nur zu retten, sondern wirklich zu bewahren. Symbolisiert wird diese tiefe, innige Beziehung im Gute-Nacht-Kuss, den Chris seiner Kate jeden Abend gibt. Als Chris stirbt, kann Kate ohne seinen Kuss nicht mehr einschlafen - und doch lebt er in ihrem Herzen fort.
Auch „Eine Puppe für Urgroßmutter“ handelt von der Liebe. Als kleines Mädchen, so erzählt die Großmutter, hatte sie eine von Herzen geliebte Puppe, die ihr zu schenken ihre Eltern viele Opfer gekostet haben muss. Der Verlust der Puppe treibt ihr noch heute die Tränen in die Augen, und so setzen Enkelin und Urenkelin alles daran, ihr genauso eine Puppe zu schenken. Dennoch sind es nicht die blauen Augen oder der Spitzen-Petticoat, der die Ähnlichkeit ausmacht, sondern die Liebe, aus der heraus sie geschenkt wurde, die die Ähnlichkeit ausmacht und der alten Dame dieses Mal die Freudentränen in die Augen treibt.