Das Wetter spielte nicht ganz mit beim Offenen Singen am 3. Oktober auf dem Mellrichstädter Marktplatz. Doch die Chöre und die Zuschauer ließen sich vom Regen nicht beirren. Marianne Fritz, die Vorsitzende des Sängervereins, begrüßte die Besucher und verwies auf die besondere Würdigung des Freudentages seit 31 Jahren. Dazu hatte sich eine Initiative gegründet mit der Idee, "Deutschland singt" an diesem Tag gemeinsam in Ost und West, in Nord und Süd. Um 19 Uhr sollte das Projekt deutschlandweit mit zehn Liedern und den dazu vorgegebenen Texten starten. So seien alle in dieser Feierstunde gleichsam als "Dank-Demo" miteinander verbunden.
Ein wunderbarer musikalischer Einstieg war die Hymne "Die Hoffnung lebt zuerst". Der Tag der Deutschen Einheit sei ein Grund zu feiern und danke zu sagen, hieß es im Vorwort. Dafür, dass wir erlebt haben, wie Lieder, Kerzen und Gebete die Welt verändern und Mauern zum Einsturz bringen können, und das ohne Gewalt.
Das Wunder der friedlichen Revolution
Bürgermeister Michael Kraus erinnerte an die Freude und Dankbarkeit am 3. Oktober 1990, als die Wiedervereinigung in Kraft getreten ist, die für die Deutschen in Ost und West ein Geschenk gewesen sei. Mit der Aktion "Deutschland singt" sollte das Wunder der friedlichen Revolution und des Mauerfalls mit einer breiten Öffentlichkeit bei einem Gesangs Open Air generationsübergreifend gemeinsam gefeiert werden.

Als Zeitzeuge gab Altbürgermeister Helmut Will einige Einblicke in die Zeit der Wiedervereinigung. Er erinnerte daran, dass Mellrichstadt insgesamt 27 Kilometer Grenzzone zur DDR hatte, die bis 1989 bestanden hatte. Als am 9. November 1989 die Reisefreiheit durch Günter Schabowski verkündet wurde, habe er spontan zu seiner Frau gesagt "da können wir uns auf was gefasst machen". Und so kam es auch. Ein freudiges Ereignis, wie es die Stadt noch nicht erlebt hatte. Nachts gegen 4 Uhr kam der erste Trabi an der Schanz in den Westen gefahren. In den folgenden Tagen und Wochen herrschte in Mellrichstadt Ausnahmezustand. Heute sollte der Freude Ausdruck gegeben werden, dass dieses Ereignis in der Geschichte zum 31. Mal gefeiert werden könne, so Helmut Will.
Abwechslungsreiche Lieder
Und dann kam die Stunde der Chöre des Sängervereins Mellrichstadt und des Agrabella-Chors. Zehn Lieder wurden jeweils von einem Chormitglied kurz anmoderiert. Dirigiert wurden sie abwechselnd von Mario Gebert (der auch am Keyboard begleitete), Marianne Klemm und Sonja Rahm.

Zur Eröffnung starteten überall im Land die Chöre mit dem Lied "Kein schöner Land", gefolgt von einem Spiritual-Medley. Besinnlicher war der Choral "Nun danket alle Gott", den ein alter Mann in der Nacht, als die Mauer fiel, spielte. "Thank you for the music" wurde 1977 von ABBA veröffentlicht. Auch der Chor wollte damit danke sagen, dass sie nach vielen Monaten der Einschränkungen durch die Corona-Pandemie wieder gemeinsam singen können. 1978 spielte die DDR-Band Karat "Über sieben Brücken musst du gehn", den auch Peter Maffay coverte. Bei der Interpretation der Chöre waren hier schon die ersten Bravo-Rufe zu hören. Anschließend erklang das Lied "Chöre" von Mark Forster. Der Wunsch nach Frieden kam im Lied "Hevenu shalom alechem" zum Ausdruck.
Auch die Zuhörerinnen und Zuhörer sangen mit
Nach "We shall overcome" folgte das Lied "Von guten Mächten wunderbar geborgen" von Dietrich Bonhoeffer, vertont von Siegfried Fietz. Strophe fünf – Lass warm und hell die Kerzen heute flammen – könnte geschrieben worden sein mit Blick auf die Friedensgebete in den DDR-Kirchen kurz vor der Wende. Anschließend erklang das Lied "Der Mond ist aufgegangen" von Matthias Claudius. Bei der deutschen Nationalhymne "Einigkeit und Recht und Freiheit" sowie der Europahymne sangen auch die Besucher aus vollem Herzen mit.

Das Schlusswort zu diesem außergewöhnlichen Konzert hatte Marianne Fritz. Sie freute sich, dass die Sängerinnen und Sänger nach langen Monaten der Abstinenz wieder proben und auftreten durften. Ihr Dank ging auch an das Technikteam von der Feuerwehr und an die gastronomischen Betriebe am Marktplatz.