Die Uhr am Bahnhof in Königshofen zeigt exakt zehn Minuten nach fünf Uhr an. Nebelschwaden liegen über dem neuen Bahnareal in der kleinen Grabfeldstadt. Eine Trillerpfeife durchbricht die Ruhe in der kleinen aufstrebenden Ortschaft, die von einem Ruf begleitet wird, der über den gesamten Bahnhof hallt, „Alles einsteigen, der Zug nach Neustadt fährt jetzt ab.“
Was sich wie aus vergangenen Tagen anhört und wie eine Szene aus einem alten Schwarz-Weiß-Film wirkt, hat sich so oder so ähnlich vor genau 120 Jahren ereignet, am 1. Oktober 1893. Der fahrplanmäßige Personenverkehr, auf der rund 23 Kilometer langen Lokalbahn Neustadt – Königshofen wurde aufgenommen. Bis es aber soweit war, hatten die Menschen im ländlich strukturierten Grabfeldgau lange warten und hart für ihre Bahn kämpfen müssen. Noch war es beschwerlich, unbequem und nicht ungefährlich auf den meist unbefestigten Straßen, die Waren zum Markt nach Neustadt zu bringen. Mit dem Pferde- oder Ochsenfuhrwerk war der Handel langwierig und kostenintensiv, eine Reise mit der Postkutsche konnten sich nur betuchte Personen leisten. Mobilität bedeutete für das einfache Volk einen hohen finanziellen Aufwand und erforderte viel Zeit.
Intensiv mit dem Thema setzt sich der Sulzfelder Bahnexperte Jürgen Dill-Schilling auseinander, der auch den geschichtlichen Hintergrund zu den Strecken aufgearbeitet und einzelne Teilstrecken auf seinen Modulen nachgebaut hat, die momentan zusammen mit anderen Exponaten in Münnerstadt zu sehen sind. Dill-Schilling kann viel erzählen, von der Nebenbahn nach Königshofen, welche Züge auf den Gleisen waren und auch Hintergrundwissen über die Strecke ist reichlich vorhanden.
Heute ist diese Situation kaum mehr vorstellbar. Bereits zur Entstehung des deutschen Hauptstreckennetzes war 1860 die Schaffung eines Schienenweges von Gemünden über Kissingen, Königshofen und Coburg nach Gera als kürzeste Linie diskutiert worden. Die für das Königreich Bayern schmerzlichen Verluste im Deutschen Bruderkrieg führten 1874 schließlich zum Bau der Schweinfurt-Meininger-Bahn; der Grabfeldgau hingegen war weit abseits liegen geblieben. Auch Gedanken an eine Bahnverbindung von Fulda nach Bamberg oder Coburg wurden bald wieder zu den Akten gelegt. So blieb der hiesigen Bevölkerung nur auf die Realisierung einer Stichstrecke, einer sogenannten Lokalbahn, zu hoffen, um dem drohenden wirtschaftlichen Kollaps zu entrinnen. Denn ein Eisenbahnanschluss entschied damals über Erfolg oder Misserfolg ganzer Landstriche. Eine Trassenführung durch das Tal der Fränkischen Saale bot sich als betriebswirtschaftlichste Möglichkeit an und so konnte am 17. März 1892 mit den Bauarbeiten begonnen werden. Nach Streckeneröffnung der neuen Lokalbahn konnten täglich zwei, an Markttagen sogar drei Zugverbindungen nach Neustadt genutzt werden. Ruhig und gemächlich ging es auf der Grabfeldbahn zu, denn eine Fahrt um 1925 dauerte rund 75 Minuten.
Mit seinen vorbildgetreu nachgebauten Lokalbahn-Modellen hält Jürgen Dill-Schilling aus Sulzfeld die Erinnerung an die Grabfeldbahn wach. Parallel zu diesem Thema findet derzeit in Münnerstadt eine Sonderausstellung statt, in der Dill-Schilling im Hennebergmuseum auch zwei Teilstücke seiner Grabfeldbahn zeigt. Noch bis zum 3. November werden unter dem Motto „Münnerstadt kommt zum Zug“ Artefakte der Bahnhistorie präsentiert und jeden Sonntag zwischen 13 und 17 Uhr Modellbahn-Fahrbetrieb im Maßstab 1:160 vorgeführt. In der Ausstellung wird der Besucher in vergangene Zeiten zurückversetzt.
Vergangenheit ist auch das Bahnzeitalter entlang der Saale zwischen Bad Neustadt und Bad Königshofen. Der letzte Güterzug verband am 30. Dezember 1994 beide Kurstädte. Alle Gleise sind abgebaut worden und die Trasse wird heute teilweise als Fahrradweg genutzt.