Mit dem Ausspruch „Die ist sooo süß“ holte Volkshochschulleiter Kai Uwe Tapken Anna Piechotta auf die Bühne. Vorschusslorbeeren wollte die Sängerin, Pianistin, Kabarettistin und als was man sie auch immer bezeichnen möchte, gar nicht. Viel lieber legte Anna Piechotta los. Und wie. Nur im Bildhäuser Hof, nicht in der Stadthalle.
Anna Piechotta will Karriere machen als Chansonette. Also gut, erst mal die Kleinkunstbühne. Wenn beim nächsten Auftritt in Bad Neustadt jeder aus dem Publikum noch jemanden mitbringt, dann wird es bald reichen für die Stadthalle. Sympathisch, charmant, stimmgewaltig, superklaviersicher und außerordentlich schön. Anna Piechotta reißt ihr Publikum mit, doch ein Schneewittchen ist sie mitnichten. „Schneewittchen ist tot“ lautet der Titel ihres Programms. Schneewittchen, weil sie in einer Kritik mal als solches bezeichnet wurde, was ihr aber gar nicht recht war. Also lässt sie Schneewittchen lieber sterben, in den frechen Texten ihrer Lieder.
Sie singt überragend gut in teilweise höchsten Höhen, begleitet sich mit traumwandlerischer Sicherheit am Klavier und garniert beides mit kabarettistischen Einlagen und Texten. Eine Mixtur, wie sie wohl nur bei Anna Piechotta zu finden ist. Sie freut sich über ihr Publikum (das ruhig etwas zahlreicher hätte erscheinen dürfen) und darüber, dass ihre Zuhörer ihren Auftritt einer Fernsehsendung mit Helene Fischer vorgezogen haben. Mal forsch, mal sanft und leise, mit ihr ist die Welt ein bisschen schöner.
Anna Piechotta kann alles am Klavier und mit ihre wunderbar wandelbaren Stimme. Melancholisch wird sie, allein in der Stadt lebend, wenn nur die Zeugen Jehovas an der Tür klingeln und sonst niemand. Sie wünscht dem verehrten Beethoven den Teufel an den Hals, denkt daran, einen Einbrecher zu verführen und entpuppt sich ein ums andere Mal als zynischer und ironischer Geist. Rauchende Lebenspartner schätzt sie nur wegen ihres Duftes, nicht aufgrund derer kurzer Lebenserwartung. Kinder groß ziehen, nun ja, halt eine Aufgabe. Richtig mutig wird sie mit dem Lied über den Besuch im Konzentrationslager Dachau. Sowas kann nicht jeder auf den Punkt bringen, Anna Piechotta schon. Für ihr Publikum – und für das Supertalent im Fernsehen – wenn es sein muss auch im Spagat.
Anna Piechotta kann alles und sie kann alles richtig gut. Wozu braucht es da Helene Fischer in der Glotze? Wenn man Anna Piechotta live erleben kann.