Manager fahren Mercedes und spielen Golf, Bayern tragen beim Weißwurstessen Lederhosen, Lehrer reden viel und Maurer – ja, was machen eigentlich Maurer? Maurer sind eher raubeinige Typen, die gerne derbe Witze reißen und Bier trinken. Glaubt man.
Vladimir Bejzerov lernt Maurer. Er besucht zurzeit die Jakob-Preh-Berufsschule (JPS) in Bad Neustadt – und schreibt in der Freizeit Gedichte. Im Land der Dichter und Denker teilt er diese Neigung heute sicher nicht mehr mit vielen anderen Schülern. Als im Deutschunterricht ein Gedicht von Theodor Fontane behandelt wurde, hat er sich „geoutet“ und von seinem Hobby erzählt.
Vladimir hat für sein Alter viel erlebt. Er, der in Kasachstan geboren wurde, hat keine Angst davor, dass ihn Mitschüler wegen seiner Gedichte belächeln. Überhaupt hat Vladimir wenig Angst, genießt er doch in seiner Klasse Respekt und steht mit beiden Beinen im Leben. Er entspricht so gar nicht dem Bild des hypersensiblen Träumers, das viele von Menschen haben, die Gedichte schreiben.
Vladimirs Gedichte handeln – natürlich – von großen Gefühlen. Es geht um starke, zeitlose, romantische Empfindungen, um Liebe, Hass und den Tod. Paradies und Hölle liegen für Jugendliche ja oft nahe beieinander. Natürlich kann Vladimir mit den Gedichten in seinem Berufsalltag als Maurer nur wenig anfangen.
Trotzdem wird er an der JPS dazu ermuntert, weiterhin Gedichte zu schreiben und sein Interesse an Sprache wachzuhalten. Warum? Weil Menschen eben „nicht nur vom Brot allein leben“ – eine Aussage, der in Zeiten einer immer stärker werdenden Kommerzialisierung aller Lebensbereiche besondere Bedeutung zukommt. Vladimirs Beschäftigung mit Sprache wird sein Leben immer ein Stück interessanter machen und es bereichern.
Alle bayerischen Schulen sind durch den sogenannten Bildungsauftrag verpflichtet, ihren Schülern nicht nur anwendbares Fachwissen beizubringen, sondern sie unter anderem auch zur „Aufgeschlossenheit gegenüber allem Wahren, Guten und Schönen“ zu erziehen. Schulen stehen also in der Pflicht, ihre Schüler in diesem Sinn und im Rahmen der jeweiligen Möglichkeiten möglichst umfassend zu bilden. Die Vorstellung, dass in der Berufsschule einzig und allein berufsbezogene Inhalte vermittelt werden, bleibt deshalb auch in Zukunft das, was sie immer war: ein Klischee.