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Bad Neustadt: Nach 1,5 Millionen Kilometern: Landrats-Fahrer geht in Ruhestand

Bad Neustadt

Nach 1,5 Millionen Kilometern: Landrats-Fahrer geht in Ruhestand

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    Er saß immer vorne: Herbert Rösch, Landrats-Chauffeur in Rhön-Grabfeld mit seinem Dienstherrn Thomas Habermann.
    Er saß immer vorne: Herbert Rösch, Landrats-Chauffeur in Rhön-Grabfeld mit seinem Dienstherrn Thomas Habermann. Foto: Gerhard Fischer

    Den Wecker hat er versteckt. Er braucht ihn jetzt nicht mehr. Herbert Rösch ist in Ruhestand. Nach 45 Jahren und drei Monaten im Berufsleben. Nach 1,5 Millionen Kilometern auf allen Straßen Unterfrankens, Bayerns, Deutschlands und weiten Teilen Europas, die als Strecke 38 Weltumrundungen gleichkommen. Nach 29 Jahren als Fahrer der Rhön-Grabfeld-Landräte. Jetzt hat Rösch den Chauffeur-Schlüssel abgegeben.

    Man kennt den 64-Jährigen in allen Ecken und Enden, nicht nur in der Rhön. Immer freundlich, immer mit einem Lächeln. "Das ist eben meine Art", sagt der frischgebackene Rentner. Zu seiner Art gehörte auch, dass er bei aller Öffentlichkeit seines Dienstes meist – und gerne – im Hintergrund blieb. "Ich muss nicht überall vorne dabei sein. Wichtig ist nur, dass ich im Auto vorne bin." Mit einer Ausnahme. Wenn es um Autogramme ging. Merkel, von der Leyen, Stamm, Berg und Silbereisen zählen zu seiner Sammlung.

    Herbert Rösch hütet seine Autogramm-Sammlung wie einen Augapfel.
    Herbert Rösch hütet seine Autogramm-Sammlung wie einen Augapfel. Foto: Gerhard Fischer

    Herbert Rösch hatte in seinem Beruf als Chauffeur nur zwei Dienstherren. Von 1991 bis 2003 Fritz Steigerwald und in den letzten 17 Jahren Thomas Habermann. Wie qualifiziert man sich für diesen seltenen Beruf, der alles andere ist als normal?

    Rösch bleibt auch bei dieser Antwort bescheiden: "Nichts Außergewöhnliches. Ich habe Kfz-Mechaniker gelernt, bin danach bei einer Spedition Lkw gefahren und hab' 1979 beim Bauhof des Landkreises Rhön-Grabfeld als Mechaniker und Lkw-Fahrer angefangen. Später hab' ich die Straßenwärter-Prüfung gemacht", schildert der 64-Jährige aus Junkershausen (Lkr. Rhön-Grabfeld) seine Vorgeschichte. Pünktlichkeit, angemessene Kleidung und loyales Stillschweigen waren allerdings schon Voraussetzungen.

    Herbert Rösch an seinem Arbeitsplatz im Audi A8.
    Herbert Rösch an seinem Arbeitsplatz im Audi A8. Foto: Gerhard Fischer

    Unter Landrat Steigerwald konnte er anfangs an den Wochenenden noch seinem Hobby nachgehen: Fußball. Er war Schiedsrichter. Der Landrat – als Viel- und Schnellfahrer bekannt – sei da meist selbst gefahren.

    "Bis zur Kreisklasse hab' ich die Qualifikation als Schiri geschafft. Dann musste ich öfters Spiele absagen, weil der Dienst gerufen hat", erzählt Rösch, der seit seiner Jugend "Moped" gerufen wird. Denn er kam immer mit dem Zweirad zu den Spielen. Diese Ortskenntnisse als Fußballer und Schiri haben ihm auch als Chauffeur genutzt.

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    "Im Landkreis Rhön-Grabfeld kann mir keiner etwas vormachen, wenn es um Abkürzungen geht", sagt er. 45- bis 50 000 Kilometer pro Jahr war sein Arbeitsplatz das Auto. Unter Steigerwald saß er zwölf Jahre lang am Steuer von drei Mercedes 280, in einem davon neun Jahre mit 450 000 Kilometern.

    "Der erste 280er war praktisch nur ein Auto mit vier Rädern: keine Standheizung, kein Telefon. Beim zweiten war dann schon ein großer Fernsprecher an Bord." Und die Standheizung natürlich.

    Schließlich soll der Chauffeur an eiskalten Nächten in der Rhön nicht frieren, wenn er auf seinen Dienstherrn wartet. Denn stundenlanges Warten gehört zu diesem Beruf wie sicheres Lenken. "Wir haben einen speziellen Fahrer-Tarif. Da wird halbjährlich ein Durchschnitt von Lenk- und Wartezeiten errechnet. Und der kann schon mal bei 16 Stunden am Tag liegen", erklärt Rösch.

    Er musste seine Zeiten immer genau aufschreiben. Auch an den zahllosen Wochenenden. "Ich hab viele private Feiern sausen lassen müssen, wie die Goldene Hochzeit meines Schwagers. Das war eben mein Beruf", sagt der Rentner. "Nur einmal, als mein Enkel getauft wurde, habe ich freigenommen." 

    Und wohin geht es jetzt? Schnelle Routenänderungen besprechen Landrat und Fahrer im Auto.
    Und wohin geht es jetzt? Schnelle Routenänderungen besprechen Landrat und Fahrer im Auto. Foto: Gerhard Fischer

    Sein Dienstplan war der Terminplan seines Dienstherrn. Der lag montags vor. "Dann hab ich gewusst, was Sache ist." Wenn er nicht auf Fahrt war, saß Rösch am Empfang im Landratsamt, putzte den Dienstwagen und kümmerte sich um den Fuhrpark der Behörde, immerhin 21 Autos, die gewartet werden mussten. Darunter auch ein E-Auto.

    "Wir haben lange überlegt, ob wir nicht auch ein E-Dienstfahrzeug für den Landrat anschaffen sollten, schon aus Renommee-Gründen für die E-Mobilitäts-Modellstadt Bad Neustadt", erzählt Rösch. Doch die eingeschränkte Reichweite machte einen Strich unter die Überlegungen. Und vor allem das Fehlen einer Standheizung.

    Zudem muss es manchmal schnell gehen. Beispielsweise beim Anruf auf dem Diensthandy: "Demo bei Siemens in Bad Neustadt, wir müssen sofort los." Derlei kurzfristige Aufträge gab es mindestens einmal pro Woche, erinnert sich Rösch. Dazu kam die Terminhatz. "Meine schnellste Fahrt von München in die Rhön: zwei Stunden 15! Da war alles frei."

    Bei derlei rasanten Fahrten – im Autoradio lief zumeist BR-Klassik – mussten die Landräte Vertrauen in ihren Fahrer haben. "Wenn sie nicht arbeiteten, haben sie ruhig geschlafen auf der Fahrt. Es hat sich noch keiner beschwert, dass er sich unwohl fühlt, wenn er mit mir fährt." Das Vertrauen war offensichtlich immer gegeben. Das bestätigt auch Landrat Thomas Habermann: "Herbert war immer zuverlässig und perfekt informiert, dazu schweigsam wie ein Grab."

    Was macht ein Chauffeur? Chauffeur an sich ist ein sogenannter nicht staatlich anerkannter Serviceberuf. Mit dem etwas altmodisch auf Adel hin assozierten Fahrer hat er nun fast nichts mehr zu tun. Neben Behörden, Universitäten und Politikern nutzen auch Wirtschaftsunternehmen Fahr-Dienste. Bei Preh in Bad Neustadt beispielsweise chauffiert seit 17 Jahren ein und der selbe Mitarbeiter die Geschäftsführer. Bei der Regierung von Unterfranken sind drei Fahrer angestellt. Jeweils einer für den Präsidenten und Vize-Präsidenten sowie ein Springer. Eingruppiert sind Fahrer im Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst der Länder (TV-L). In den unterfränkischen Landratsämtern wird dieser Dienst unterschiedlich behandelt: In den Haßbergen fährt Landrat Schneider häufig selbst, bei Terminen außerhalb des Landkreises sitzt ein Behördenangestellter am Steuer. In Schweinfurt nutzt Florian Töpper für Langstrecken den Zug, fährt auf Kurzstrecken hauptsächlich selbst. Wenn es an den Wochenenden zu viele Termine werden, wird ein Fahrer zusätzlich gebucht. In Bad Kissingen ist der Landratsfahrer zugleich Fuhrparkmanager der Behörde, er kümmert sich um Ein- und Verkauf und Leasing der Fahrzeuge. In Kitzingen, Würzburg und Main-Spessart nehmen die Landrats-Fahrer auch andere Aufgaben in der Behörde wahr.

    Die Fahrten hatten nicht nur Fladungen, Würzburg, München, Frankfurt oder Berlin zum Ziel. Rösch musste Fritz Steigerwald einmal nach Florenz kutschieren – auf Geheiß des Landkreistags. Dumm nur, dass der Landrat am anderen Tag schon wieder in Elfershausen (Lkr. Bad Kissingen) sein wollte.

    Dort machte Ministerpräsident Edmund Stoiber seine Aufwartung. "Also sind wir nach Italien gefahren. Ich habe in einem Zimmer geduscht, mich nach der Veranstaltung wieder ins Auto gesetzt und bin vom Arno an die Saale gerauscht."

    Nach dem Aus der Behörden-Kennzeichen fuhr Rhön-Grabfelds Landrat unter dieser Nummer. Und Herbert Rösch hatte die beiden R's gleich interpretiert: "So hatten wir immer unsere Ehefrauen dabei: seine heißt Ruth, meine Renate!"
    Nach dem Aus der Behörden-Kennzeichen fuhr Rhön-Grabfelds Landrat unter dieser Nummer. Und Herbert Rösch hatte die beiden R's gleich interpretiert: "So hatten wir immer unsere Ehefrauen dabei: seine heißt Ruth, meine Renate!" Foto: Gerhard Fischer

    Auch aus Bad Neustadts französischer Partnerstadt Falaise weiß Herbert Rösch eine Anekdote zu erzählen. "Da sind wir wie echte Staatsgäste empfangen worden. Polizei-Eskorte vorne und hinten, den komischen Heulton hab ich heute noch im Ohr", lacht Rösch. Überhaupt Polizei. Hatte der Landkreis-Chauffeur auch unliebsame Begegnungen mit Ordnungshütern?

    Rösch klopft dreimal auf Holz: "Keine zehn Strafzettel hab ich mir eingehandelt in den 29 Jahren als Landratsfahrer. Die habe ich alle selbst bezahlt. Und ich bin punktefrei!" 

    Ganz gerne erinnert sich Rösch an verschiedene Treffen beim Sportler-Stammtisch, zu dem sein Dienstherr Habermann geladen war. Von Bulle Roth, Katsche Schwarzenbeck, Uwe Seeler und Sepp Maier präsentiert er Autogramm-Karten, natürlich auch von Politikern und Prominenten aus Film, Funk und Fernsehen.  

    Chauffeure unter sich: Beim Politiker-Derbläggn in Burglauer 2018. Um Herbert Rösch (Mitte) gruppierten sich beispielsweise die Fahrer von Innenminister Herrmann, Barbara Stamm, Bischof Friedhelm, Gerhard Eck und Bad Kissingens Landrat Thomas Bold.
    Chauffeure unter sich: Beim Politiker-Derbläggn in Burglauer 2018. Um Herbert Rösch (Mitte) gruppierten sich beispielsweise die Fahrer von Innenminister Herrmann, Barbara Stamm, Bischof Friedhelm, Gerhard Eck und Bad Kissingens Landrat Thomas Bold. Foto: Michael Nöth

    Während der offiziellen Termine gab es gerade in München das ein oder andere Mal auch eigens Veranstaltungen für die Chauffeure. "Beeindruckt war ich von der Allianz-Arena, obwohl ich 60er-Fan bin."

    Ansonsten hat man sich mit den anderen Fahrern in den Kantinen getroffen – oder einfach im Auto bei Zeitung und Tablet gewartet. "Die Standheizung hat immer funktioniert!" Die musste er gerade in der Rhön oft anschalten. Bei Veranstaltungen am Kreuzberg oder beim Weideabtrieb in Ginolfs konnte es schon mal sehr spät werden. "Einmal hat mich der Landrat sogar aufwecken müssen", lacht er.

    Das mit dem Aufwecken hat sich für Herbert Rösch nun erledigt. Er hat sich für seinen Ruhestand vorgenommen, zu entschleunigen. "Ich muss mal meine Autogramm-Sammlung sortieren. Außerdem habe ich meiner Frau versprochen mehr zu laufen und unsere drei Enkel in der Rhön und in den Haßbergen zu besuchen." Und dabei stellt sich nun plötzlich die Frage: "Wer fährt heute?"

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    Was unseren Autor zu dieser Story bewegt hat Zugegeben: Als kleiner Junge lag ich falsch. Ich nahm immer an, dass der gut situierte Herr mit dem schlohweißen Haar der Landrat ist. Er war immer da, wenn es in unserem Dorf etwas Großes zu feiern gab. Dass der Mann mit seinem akkurat sitzenden Anzug und seinen Lederhandschuhen keine großen Reden schwang wie so manch anderer Politiker, machte ihn noch sympathischer. Als mein Vater mir aber erklärte, dass der Hagere der Landrat und der Weißhaarige daneben sein Fahrer ist, war ich wirklich enttäuscht. An diese kleine Geschichte musste ich mich erinnern, als ich erfuhr, dass der aktuelle Landrat-Fahrer in Rhön-Grabfeld in Ruhestand geht. Was hat ein Chauffeur alles erlebt in seinem Berufsleben? Wie viele Kilometer musste er für seinen Dienstherren abspulen? Was machte er in den Warte-Pausen?  Alles Fragen, die ich als kleiner Junge dem weißhaarigen Landrats-Fahrer schon stellen wollte. Jetzt hatte ich die Gelegenheit dazu – bei einem seiner Nachfolger.

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