Ein herkömmlicher Grabstein aus Sandstein, verwitterte Schrift, schmucklose Fassung: Kaum jemand käme auf die Idee, dass an dieser Stelle ein Mann begraben liegt, der einst die katholischen Kirchengeschichte mitgeprägt hat. „Professor Dr. Sebastian Merkle gilt als Wegbereiter für ein objektives Lutherbild in der katholischen Kirche“, heißt es und genau diese Worte sollen nach der jetzt begonnen Neugestaltung des Friedhofs von Wargolshausen künftig auf seinem neuen Gedenkstein stehen.
Der Umstand, auf dem Gottesacker von Wargolshausen die letzte Ruhestätte zu finden, ist der Bombardierung Würzburgs kurz vor Ende des Zweiten Weltkriegs zuzuschreiben. Merkle besaß einen Lehrstuhl an der Julius-Maximilians-Universität und wohnte auch in der Stadt am Main. In der Bombennacht von 1945 verlor er nicht nur sein Haus, sondern auch seine mehr als 25 000 Bände umfassende Bibliothek. Dr. Anton Kehl, ein Schüler von ihm und Kuratus in Wargolshausen, bot ihm Zuflucht an, was er dankbar annahm. Doch die Zeit, die ihm bleiben sollte, war kurz: Schon ein Monat nach der Umsiedlung starb der Theologe im Alter von 83 Jahren.
1887 war der gebürtige Ellwangener zum Priester geweiht worden, wandte sich aber von seiner seelsorgerischen Tätigkeit ab und schlug eine wissenschaftliche Laufbahn ein. Er wurde Dozent in Tübingen und erlangte 1892 den philosophischen Doktortitel. Nach wissenschaftlichen Studien in Rom und Südeuropa erhielt er 1898 in Tübingen einen weiteren Doktortitel und folgte im selben Jahr einem Ruf an die Universität in Würzburg, wo er zum Professor der Kirchengeschichte ernannt wurde. Sein Spezialgebiet war die Bedeutung Luthers für die katholische Kirche. Sein bedeutendstes Werk widmet sich dem Konzil vom Trient im 16. Jahrhundert, in dem es um die Reaktion der katholischen Kirche auf die Reformation ging. In der theologischen Realenzyklopädie wird die Arbeit nahezu als „epochemachend“ beschrieben.
Gemäß seinem Lebensmotto „Veritate!“ (Wahrheit!) setzte er sich in seinen zahlreichen Veröffentlichungen und historischen Studien für die Gewissensfreiheit und Freiheit der theologischen Forschung ein. Mit seinem Bild der katholischen Aufklärung machte er sich nicht nur Freunde, so dass ein Aufsatz sogar auf den Index geriet, was aber nicht zum Bruch mit der Kirche führt.
Zahlreich sind auch seine Ehrungen und Auszeichnungen. Er war unter anderem Senator der Deutschen Akademie München, Mitglied der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Träger des bayerischen Verdienstordens und erhielt die goldene Gedächtnismedaille durch Papst Pius XI.
In diesem Jahr wäre der Theologe 150 Jahre alt geworden. Dank einer Initiative von Ansgar Büttner und zahlreicher Spender soll das Ereignis mit der Aufstellung eines Gedenksteins eine angemessene Würdigung erhalten.