Icon Menü
Icon Schließen schliessen
Startseite
Icon Pfeil nach unten
Rhön-Grabfeld
Icon Pfeil nach unten
Mellrichstadt
Icon Pfeil nach unten

Meiningen: Nichts ist ungeheurer als der Mensch

Meiningen

Nichts ist ungeheurer als der Mensch

    • |
    • |
    Die Toten sind immer präsent: Jan Wenglarz als Polyneikes
    Die Toten sind immer präsent: Jan Wenglarz als Polyneikes Foto: Christina Iberl

    Nach der Vorstellung möchte man reden, reden, reden. Egal, ob Sophokles' Trauerspiel "Antigone" 3000 Jahre alt ist oder ob es in einem Bürgerkriegsland der Gegenwart spielt. Nach welchen Prinzipien will man leben? Steht die Staatsräson ganz oben oder die Sorge für einzelne Menschen? – In den Kammerspielen des Meininger Theaters tun sich wieder einmal Abgründe auf, rund um das, was der Chor der griechischen Tragödie mit "Viel Ungeheures und nichts ungeheurer als der Mensch" beklagt.

    Regisseurin Elina Finkel und Ausstatterin Vesna Hiltmann lassen – in der Übersetzung von Heinz Oliver Karbus - die radikalsten Gegensätze menschlicher Prinzipien tatsächlich in einem Raum aufeinanderprallen, der sowohl im antiken Theben als auch im kriegszerstörten Aleppo stehen könnte. Die Siegergesellschaft sitzt nach der Schlacht hinter einer offenen weißen Wand beim Leichenschmaus für den toten Helden Eteokles (Leo Goldberg). Er ist im Zweikampf mit seinem verfeindeten Bruder Polyneikes (Jan Wenglarz) gefallen. Die beiden Toten sitzen nun als blutverschmierte Geisterwesen am Tisch – ein Symbol dafür, wie die unmittelbare Vergangenheit die Gegenwart bestimmt, genauso wie die blutrünstige Geschichte der Familie.

    Zwei Menschen, zwei radikal entgegengesetzte Prinzipien: Kreon (Gunnar Blume) und Antigone (Miriam Haltmeier)
    Zwei Menschen, zwei radikal entgegengesetzte Prinzipien: Kreon (Gunnar Blume) und Antigone (Miriam Haltmeier) Foto: Christina Iberl

    Kreon, der neue König (gelungenes Meiningendebüt für Gunnar Blume), hat für Eteokles eine Heldenbestattung verfügt und die Todesstrafe über jene verhängt, die es wagen sollten, Polyneikes - dessen Leichnam vor den Mauern der Stadt verwest - zu beerdigen. Das fordert Kreons Staatsräson. Hinter der verbirgt sich allerdings seine persönliche Hybris: "Ich bin der Herrscher." Ob das vor diktatorischem oder demokratischen Hintergrund geschieht, erscheint dabei zweitrangig.

    Auf der anderen Seite steht Kreons Nichte Antigone (ebenso glaubwürdig wie Gunnar Blume: Miriam Haltmeier). Sie will ihrem Bruder Polyneikes die letzte Ehre erweisen und ihn bestatten, indem sie Sand über den Leichnam streut. Als Akt der gebotenen Menschlichkeit, die keine Rache über den Tod hinaus kennt.

    Die letzte Ruhe verweigert

    Man könnte Antigones Handeln auch als Hingabe an ein göttliches Gebot begreifen. Aber man fühlt sich ihr auch ohne Götterglauben nahe, in ihrer Wut und ihrer Trauer darüber, dem Bruder - aus welchen staatsräsonablen Gründen auch immer – die letzte Ruhe zu verweigern. Aus Antigones Verzweiflung entsteht eine Unbedingtheit des Denkens, die den eigenen Tod in Kauf nimmt und keine Gedanken über das Weiterleben ihrer Schwester Ismene (Emma Suthe) und ihres Verlobten Haimon (Marcus Chiwaeze), Kreons Sohn, zulässt. Doch das rückt angesichts der Selbstgerechtigkeit des Onkels in den Hintergrund. Insofern ficht einen die von Kennern der Geschichte angemahnte Empfehlung nicht übermäßig an, man möge die Motive beider Seiten differenziert betrachten. Wollte man Kreons Egomanie als Ausdruck eines höheren Zweckes auch nur ansatzweise gutheißen, rumorte das eigene Gerechtigkeitsempfinden.

    Keine Annäherung zwischen Vater und Sohn: Kreon (Gunnar Blume) duldet keinen Widerspruch von Haimon (Marcus Chiwaeze)
    Keine Annäherung zwischen Vater und Sohn: Kreon (Gunnar Blume) duldet keinen Widerspruch von Haimon (Marcus Chiwaeze) Foto: Christina Iberl

    Im Hier und Jetzt verortet

    Weil dieses Hin- und Hergerissensein von den Darstellern ohne jeden Unterton von Proklamation gespielt wird, werden die zeitlosen Figuren so lebendig, dass man sie sogleich im Hier und Jetzt verorten möchte: Kreons Dispute mit Antigone etwa, mit seinem Sohn, dem Seher Teiresias (Leo Goldberg) und dem aus zwei Frauen bestehenden Chor als Volkes Stimme (Evelyn Fuchs und Anja Lenßen). Die Auseinandersetzungen führen einem die zerstörerische Macht des Unbedingten klar vor Augen. Und das wiederum führt zum gesteigerten Redebedarf nach der Vorstellung: Wie würde ich mich verhalten, wenn ich in einen solchen Entscheidungszwang geriete?

    Nächste Vorstellungen am 10., 22., 26.12., jeweils um 19:30 Uhr. Kartentelefon 03693-451 222. www.staatstheater-meiningen.de

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden