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BAD NEUSTADT: Oberhof hat eine wechselvolle Geschichte

BAD NEUSTADT

Oberhof hat eine wechselvolle Geschichte

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    Mondänes Oberhof: ein Bild mit illustren Gästen aus den 1920er-Jahren.
    Mondänes Oberhof: ein Bild mit illustren Gästen aus den 1920er-Jahren. Foto: Fotos (2): Bildarchiv Lerch-Oberhof

    Hört man Oberhof, denkt man an Wintersport – Biathlon, Rennrodeln, Skispringen. Doch der 1600-Einwohner-Ort im Thüringer Wald, Partnerstadt von Bad Neustadt, ist viel mehr als das, war nicht nur sozialistisches Vorzeigeobjekt, sondern einstmals, Anfang des 20. Jahrhunderts, mondänes Pendant zu Orten wie St. Moritz in der Schweiz.

    Mit der Eröffnung der Eisenbahnlinie 1884 entwickelte sich das 815 Meter hoch gelegene Oberhof zu einem der bedeutendsten Höhenluftkurorte in Deutschland. Im gleichen Jahr soll der erste Skiläufer gesichtet worden sein. Bereits 1905 gab es hier die ersten Skilaufwettbewerbe. Oberhof gilt zudem als Wiege des Bobsports in Deutschland. Prinzen und Herzöge sausten in der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg auf dem Bobschlitten die Wadeberg-Natureisbahn hinab. Kaiser Wilhelm II besuchte den Ort und auch die Film-Diva Marlene Dietrich schlenderte mit ihrem Töchterchen durch frischen Pulverschnee in Oberhof, wie erhalten gebliebene Fotos belegen. Im Februar 1931 gab es hier Weltmeisterschaften im Zweierbob und Wettkämpfe des Internationalen Skiverbandes, die sogenannten FIS-Rennen, die eine Vorprüfung für die Olympischen Winterspiele 1932 in Lake Placid (USA) darstellten.

    Einen Bruch gab es nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Nach der Gründung der DDR 1949 entwickelte sich Oberhof Schritt für Schritt zu einem sozialistischen Erholungs- und Wintersportzentrum der Werktätigen. Über 50 bürgerliche Familien wurden zwangsausgesiedelt, Häuser enteignet, Jugendstil-Villen abgerissen und durch Beton-Zweckbauten ersetzt. Mehrere Ferienheime für Angehörige der Armee, Polizei und Stasi entstanden.

    Ulbrichts Faible für Wintersport

    Dafür mitverantwortlich war auch der SED-Spitzenfunktionär Walter Ulbricht, der 1960 Staatsratsvorsitzender der DDR wurde und den Ausbau von Oberhof stark forcierte. Nachdem Ulbricht die Grenze zu Westdeutschland am 13. August 1961 abriegelte und damit der Zugang zu den Alpen für die Menschen aus der Ost-Zone nicht mehr möglich war, wurden die Wintersporturlauber in die schneesicheren Mittelgebirge nach Oberhof oder Oberwiesenthal im Erzgebirge gelotst. Der gebürtige Leipziger Ulbricht hatte ein Faible für den Thüringer Wald und war ein begeisterter Wintersportler, wenngleich ihm augenscheinlich die Motorik fehlte. Mit seiner zweiten Frau Lotte pirschte der „Spitzbart“, so sein Spottname in der DDR, des öfteren auf Skiern durch das Oberhofer Revier, getreu seinem Motto: „Jedermann an jedem Ort, einmal in der Woche Sport!“

    Entsprechend bevorzugt flossen die Mittel für neue Bauten und beste Straßen nach Oberhof und die nähere Umgebung. Staatschef Ulbricht hatte ein eigenes Urlaubsdomizil, das unter seiner Ägide und danach bis zum Mauerfall 1989 stets gut bewachte Ferienheim des DDR-Ministerrates, im Volksmund als „Waltershausen“ bezeichnet. Es liegt versteckt im Wald, gegenüber der heutigen Bob- und Rodelbahn, und war für damalige Verhältnisse sehr luxuriös ausgestattet. Selbst ein eigenes Wasserwerk und eine monströse Stromerzeugungsanlage gehörten zur Ausstattung. Das vier Stockwerke umfassende Objekt ist schon seit Jahren verkommen, keine Fensterscheibe ist ganz – eine durch Vandalen verwüstete Ruine, für die sich kein Käufer findet.

    In Stasi-Unterlagen sind Vermerke zu finden, dass sich einst auch attraktive Damen unter den Angestellten des Ferienheimes befanden, die dem Ministerium für Staatssicherheit bei ihren Überwachungen vor der Einstellung, als sogenannte „hwG“-Personen mit häufig wechselndem Geschlechtsverkehr“ (sic) – bekannt geworden waren.

    Ärger über den Kirchturm

    Überliefert ist auch, dass sich der Atheist und langjährige SED-Chefstratege Ulbricht beim Blick aus dem Fenster seines Etablissements immer über den Turm der Evangelischen Kirche in Oberhof ärgerte, da diese das höchste Gebäude des Ortes darstellte. Diese Kirche war übrigens mit der Einweihung 1957 der erste Kirchen-Neubau in der DDR. Deshalb ließ Ulbricht in der Mitte der Kommune das in den Himmel ragende Ferienheim „Rennsteig“ errichten. Er konnte sich allerdings an dieser weiteren Errungenschaft, der wiedererlangten sozialistischen Lufthoheit, nicht lange erfreuen, da er 1973 das Zeitliche segnete.

    2002 wurde das Ferienheim „Rennsteig“ abgerissen. Nach der Friedlichen Revolution wollte ein gewiefter Geschäftsmann aus der Schweiz die architektonisch langweilige Ex-Ministerrats-Herberge als nobles Touristen-Hotel mit Gourmet-Restaurant vermarkten. Mit dem besonders sinnigen Werbeslogan „Eine Nacht in Ulbrichts Bett“ konnte sich allerdings nach dem Untergang des Arbeiter- und Bauernstaates kaum jemand anfreunden. Der Eidgenosse machte sich schnell wieder aus dem Staub. Eigentümer der Immobilie war danach eine Schweizer Bank.

    In den 1960er-Jahren ließ Ulbricht, der bereits 1949 die große Propagandawirkung des Sports bei den ersten Wintersportmeisterschaften in der Sowjetischen Besatzungszone in Oberhof erkannt hatte, unter anderem die 120-Meter-Groß-Schanze im Kanzlergrund errichten, 1971 kam eine Kunsteisbahn für Rennschlitten- und Bobfahrer hinzu. Zum 20. Jahrestag der DDR eröffnete 1969 das weithin sichtbare Interhotel „Panorama“. Ein 900-Betten-Bunker, der im architektonischen Stil von zwei gegenläufigen Sprungschanzen aus dem Boden gestampft wurde. Mehrere Zimmer benutzte ausschließlich die Stasi als Diensträume. Aus den Stasi-Akten geht hervor, dass sich zahlreiche DDR-Agenten mit ihren Führungs-Offizieren dort getroffen haben.

    Ohnehin hatte Oberhof in Relation zur Einwohnerzahl mit die höchste Stasi-Spitzeldichte in der DDR. Bei internationalen Sportveranstaltungen in Oberhof logierten Funktionäre und Athleten aus Ost und West in dem Haus, deren Überwachung aufwendigst erfolgte. Das Panorama-Hotel gibt es heute noch und trotz einiger Renovierungen versprüht es immer noch den trostlosen Charme der DDR.

    Biathlon seit 1958

    Biathlon wird in Oberhof seit 1958 betrieben. Es ist eine Sportart mit langjähriger militärischer Tradition, bis 1976 noch mit schweren Großkaliberwaffen. Nach dem ersten Olympiasieg eines Deutschen 1980 im Biathlon, wo der für den Armeesportklub Oberhof startende Frank Ullrich in Lake Placid/USA, also im Land des größten „Klassenfeindes“, über zehn Kilometer in der Hoch-Anabolika-Ära, Gold gewann, entdeckten die DDR-Oberen das Medaillenpotenzial. Der damalige Verteidigungsminister Heinz Hoffmann forcierte den Ausbau des Biathlons.

    Im Frühjahr 1981 rückten Pioniertruppen der DDR-Volksarmee in Oberhof am Grenzadler an. Unweit des Armeesportklubs wurden Bäume gefällt, gewaltige Erdvolumen abgetragen, Felsen gesprengt. Innerhalb von eineinhalb Jahren wurde ein neues Biathlonstadion mit Schießstand errichtet und eine bitumierte Straße mit Beleuchtung, die zum Skirollertraining in der schneefreien Zeit genutzt wurde. Geld spielte keine Rolle, da es ein sogenanntes Projekt der Landesverteidigung war und für die Militärs prestigeträchtig. Der Biathlon-Schießstand von Oberhof zählte 1983 zu den modernsten Anlagen in der Welt. Ein neuentwickeltes Unterspanner-Biathlon-Gewehr aus der Nachbarstadt Suhl verkürzte die Ladezeit für die DDR-Athleten erheblich.

    Die Kaderschmiede Oberhof mit ihrer Infrastruktur an Sportstätten hatte zu diesem Zeitpunkt die anderen DDR-Wintersportzentren in Oberwiesenthal, Altenberg/Zinnwald und Klingenthal – ausschließlich des in Oberhof fehlenden Alpin-Bereiches – längst hinter sich gelassen.

    1984 fand der erste Biathlon-Weltcup in Oberhof statt. Einst war das Zuschaueraufkommen im Stadion überschaubar, selbst für die Stasi, die wenig Mühe hatte, einigen sportaffinen DDR-Bürgern selbstgemalte Spruchbänder zum Gruße der bundesdeutschen Athleten gewaltsam zu entreißen.

    Millionen-Investitionen

    Auch nach der Wiedervereinigung 1990 blieb Oberhof ein Zentrum für Spitzensportler. Der gesamtdeutsche Sport wollte die Ressourcen weiterhin nutzen. 15 Millionen Euro gab es an Fördermitteln für die Renovierung der Bob- und Rodelbahn. Über 18 Millionen Euro flossen bis heute in ein neues Biathlon-Stadion, wo 2004 eine Biathlon-Weltmeisterschaft stattfand. Neue Skisprungschanzen verschlangen über 20 Millionen Euro. Für die Skilangläufer und Biathleten wurde für über 16 Millionen Euro 2009 eine überdachte Skihalle samt Schießstand gebaut, in der sie ganzjährig auf Schnee bei konstant vier Grad minus Lufttemperatur trainieren können.

    Insgesamt mehr als 170 Millionen Euro erhielt die Kommune seit 1990 an Subventionen für ihre Sportstätten und neue Tourismusprojekte, ist dennoch chronisch pleite. 20 Olympiasieger im Biathlon, Rennschlitten, Bob, Skilanglauf und Skispringen, hat der 1600-Einwohnerort nach 1990 hervorgebracht.

    Gleichwohl gibt es auch die andere Seite der Medaille beim Thema Schulden. Als Beispiel dient die Rennsteig-Therme, ein 17 Millionen Euro teures Spaßbad, das 1996 eröffnet wurde. Anfangs gab es genug Besucher, doch dann bauten die Nachbargemeinden mit Landessubventionen eigene Freizeitbäder. Die Gästezahl in Oberhof ging zurück, die enormen Betriebskosten blieben. 2008 schloss das Bad. Der Freistaat Thüringen sprang ein, investierte neun Millionen Euro für die Renovierung der Therme, 2014 wurde sie unter dem Namen „H2Oberhof“ neu eröffnet. Die Betriebskostendefizite sind immer noch erheblich. Der Bund der Steuerzahler monierte bereits die Kosten.

    Mehrfach ermittelte die Erfurter Staatsanwaltschaft auch wegen des Verdachts der Korruption gegen Politiker, Unternehmer und Funktionäre in der Gemeinde und des Landes. Das Amtsgericht Meiningen verurteilte den amtierenden Bürgermeister Thomas Schulz 2011 wegen Untreue und Steuerhinterziehung zu einer Geldstrafe von knapp 9000 Euro.

    Die Thüringer Landesregierung drängt im Rahmen einer Gebietsreform zur Fusion von Oberhof mit den größeren Nachbarstädten Zella-Mehlis und Suhl. Doch es gibt Diskussions- und Abstimmungs-Bedarf bei den Kommunalpolitikern, entschieden ist bisher noch nichts.

    Zu Ende geht nach 133 Jahren ab nächstem Jahr die Eisenbahn-Tradition in Oberhof. Ab Dezember zum Fahrplanwechsel der Deutschen Bahn wird der traditionsbehaftete Tal-Bahnhof Oberhof, der zudem am Auslauf einer zwei Kilometer langen Naturrodelbahn liegt, von den Zügen der Deutschen bzw. Südthüringer Bahn nicht mehr als Haltepunkt zum Ein- und Aussteigen benutzt. Stattdessen müssen Bahn-Fahrgäste aus Richtung Würzburg kommend bereits am Bahnhof Zella-Mehlis aussteigen und dort in Zubringerbusse hinauf nach Oberhof umsteigen. Ob ab 2018 am Bahnhof Oberhof Dampflok-Sonderzüge noch einen Stopp einlegen dürfen, ist noch nicht geklärt.

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