Icon Menü
Icon Schließen schliessen
Startseite
Icon Pfeil nach unten
Rhön-Grabfeld
Icon Pfeil nach unten
Bad Königshofen
Icon Pfeil nach unten

Oberhof-Stasi kein Schnee von Gestern

Bad Königshofen

Oberhof-Stasi kein Schnee von Gestern

    • |
    • |

    Hildigund Neubert geht von ihrem Besprechungstisch hinüber zum Regal mit den Akten und Büchern. Die Thüringer Landesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen greift sich eine schmale Broschüre. "Die nehme ich immer als Beleg für das, was ich meine", sagt sie. Der berühmte Wintersportverein Oberhof feiert mit diesem Heft sich und seine 100-jährige Tradition.

    Neubert muss nicht einmal die Seiten aufschlagen, in denen sich die Goldmedaillen des sozialistischen Armeesportklubs spiegeln. Ihr genügt der Blick auf die Jahre von 1933 bis 1945. Man liest, dass Oberhof im Bobsport das Mekka der Kufenkönner blieb und 1940 zu Neujahr die deutschen Spitzenspringer hier ein letztes Mal aktiv waren. Knapp wird berichtet, dass der Thüringer Wintersport-Verband 1933 gleichgeschaltet, in den Ski-Gau VI verwandelt und schließlich auch militarisiert und mythologisiert worden sei.

    Natürlich bietet eine Broschürenseite unendlich wenig Platz für die Fülle der Jahre. Doch schon ein paar Zeilen können diese Zeit menschlich näherrücken lassen. Etwa in dem Zitat aus der letzten Postkarte des Oberhofer Lokalmatadors Hans Marr, bevor er an der Ostfront auf eine Mine trat und getötet wurde. Was, fragt Neubert, ist mit den jüdischen Sportlern geschehen? Es müsse sie gegeben haben, schließlich habe am Rennsteig jedes zweite Dorf einen jüdischen Friedhof. Was, möchte man hinzufügen, wurde mit den Sozialdemokraten oder den Kommunisten unter den Sportler?

    So aber liegt auf ihrer historischen Spur tiefer Schnee von gestern. In der Lesart von Frau Neubert trifft das freilich auch auf die DDR-Geschichte zu. Etwa vor der Biathlon-Weltmeisterschaft Anfang des Jahres in Oberhof, als eine Diskussion um den ehrenamtlichen Wettkampfleiter Karl-Heinz Wolf einsetzte, dessen erhebliche Stasi-Verstrickungen dem Oberhofer Wintersportverein (WSV) schon 1996 von der Stasi-Unterlagen-Behörde mitgeteilt worden waren. Wolf trat schließlich zurück. Offen ist, wie es mit seinem Anstellungsverhältnis beim WSV weitergeht.

    Es sind genau diese Fälle, mit denen Hildigund Neubert für ihre Sicht der Dinge wirbt. Der Thüringer Sport klage doch am meisten darüber, dass Belastungen aus der DDR-Zeit wie Stasi und Doping immer wieder hervorgekramt würden. Weil das Stasi-Unterlagen-Gesetz enge Maßstäbe gerade für Arbeitgeber bei der Herausgabe der Akten anlege, sei es das Beste, einen Antrag für eine umfassende historische Aufarbeitung zu stellen.

    Über diese Brücke, die sie dem Thüringer Landessportbund (LSB) baut, mögen sie die Verantwortlichen nicht begleiten. Unter anderem rüffelte sie der Präsident der Deutschen Sportbundes, Manfred von Richthofen, wegen ihrer vermeintlichen Unerfahrenheit.

    Will die Stasi-Beauftragte historisch aufarbeiten oder - als Mitglied im Kern der DDR-Opposition - eine Verdammung des damaligen Sports? "Ich würde mir eine richtige Historikerkommission wünschen", sagt sie. Immerhin will jetzt der Landessportbund beim Thema Stasi mit einer unabhängigen Kommission in die Offensive gehen. Es wäre die erste derartige Institution in einem ostdeutschen Bundesland. Frank-Michael Pietzsch, ehemaliger Landtagspräsident und CDU-Fraktionschef, soll die unabhängige Kommission leiten.

    15 lange Jahre hat es bis zur Unabhängigen Kommission gedauert, aber vielleicht war die Zeit doch zu kurz. Zu kurz, um die Distanz zu dem Gegenstand, der aufgearbeitet werden soll, groß genug werden zu lassen. Es ist ein Mann wie der DDR-Weltklasse-Skispringer Hans-Georg Aschenbach, der die Zerrissenheit der Beteiligten deutlich macht. Seine Spur, wie die von vielen, führt nicht schnurgerade durch diese Geschichte, seinem Absprung 1988 in den Westen ging ein langer Anlauf in der DDR voraus.

    "Wir Spitzenleute haben doch alle vom Doping gewusst. Wir haben alle die Schnauze gehalten." Aschenbach brachte es bis zum DDR-Oberstleutnant und war zugleich das Opfer von Doping und Stasi-Spitzeln. Hätte er nicht geschwiegen, wäre seine sportliche Karriere sofort zu Ende gewesen. Als er seine Akte las, fand er dort seine besten Freunde als Spitzel. Er legte sie nach wenigen Seiten weg. "Das tut mehr weh, als es nicht zu wissen."

    Wohl mit Blick auf Erfahrungen wie die von Hans-Georg Aschenbach meint Hildigund Neubert, dass eine umfassende Aufarbeitung auch ein Akt der Selbstbefreiung für die Beteiligten wäre.

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden