Es glich einem Wunder, als sich vor 30 Jahren die Grenze zwischen der Deutschen Demokratischen Republik und der Bundesrepublik Deutschland öffnete. Vor allem die Bewohner in den damals grenznahen Bereichen erlebten diese Sensation hautnah. Ein solcher Zeitzeuge ist Edgar Günther aus Rappershausen. In einem Interview erinnert er sich an die Ereignisse. "Wir in Rappershausen waren es gewohnt, am Ende der Welt zu leben", erzählt der heute 76-Jährige. Nur 800 Meter vom Dorf entfernt verlief die Grenze. Es schien so, als ob das Nachbardorf Behrungen in einer anderen Welt liegt, obwohl die beiden Orte nur zwei Kilometer auseinander liegen.

Wie ein enges Nadelöhr erwies sich nach der Grenzöffnung die Übergangsstelle bei Eußenhausen. Denn jedes aus dem benachbarten Thüringen kommende Fahrzeug musste hier durch. Stoßstange an Stoßstange stauten sich dort die Trabis. Auch die Günthers aus Rappershausen erhielten spontanen Besuch von Verwandtschaft aus dem thüringischen Milz. Rappershausen und Milz liegen eigentlich nur 15 km voneinander entfernt. Da aber die "Reise" über Eußenhausen erfolgte, wurden daraus 65 km und sage und schreibe drei Stunden Fahrtzeit. Auf dem Nachhauseweg begleitete Edgar Günther seinen Besuch ein Stück mit seinem Auto vorneweg. Schon in Mellrichstadt waren die Straßen hoffnungslos überfüllt.

Eine zündende Idee
Um die Fahrtzeit für seine Thüringer Freunde etwas abzukürzen, kam dem Edgar die zündende Idee: Er befuhr einen landwirtschaftlichen Wirtschaftsweg von Mellrichstadt nach Eußenhausen und die beiden Trabis blieben ihm auf den Fersen. Kurz vor Eußenhausen brachte Günther dann eine orange Rundumleuchte auf seinem Pkw an. Man kam aus dem Wirtschaftsweg, die blinkende Rundumleuchte sorgte für Respekt bei den wartenden Trabifahrern auf der B 19. Sie hielten an und ließen das "Sonderfahrzeug" samt den beiden dahinter fahrenden Trabis einfädeln und so konnte man ein Schnippchen schlagen. Edgar Günther augenzwinkernd: "Die DDR-Bürger hatten eben Respekt vor blinkenden Rundumleuchten."

In den darauf folgenden Wochen wurde die Grenze immer löchriger. Zwischen vielen thüringischen und fränkischen Orten wurde der Zaun geöffnet und die Menschen aus Ost und West konnten sich begegnen. Am 16. Dezember 1989 kam es erstmalig zur Öffnung des Grenzzauns zwischen Behrungen und Rappershausen. Am 16. Dezember konnten die Rappershäuser nach Behrungen und am darauf folgenden Tag die Behrunger nach Rappershausen. An den beiden Tagen passierten nach Günthers Worten insgesamt 6.500 Personen diese provisorische "Grenzübergangsstelle". Das Ganze wurde von den Grenzorganen beider Seiten überwacht. "Das rüber und nüber gehen war nur zwischen 9 und 22 Uhr erlaubt", erinnert sich Günther. Die Volkspolizisten auf Ostseite waren in einem Brotzeitwagen der LPG Behrungen untergebracht. Die Beamten des Bundesgrenzschutzes auf westlicher Seite mussten auf diesen Luxus verzichten.
Alte Beziehungen lebten neu auf

Es entstanden neue Kontakte beziehungsweise alte Beziehungen lebten neu auf. Vor allem die älteren Dorfbewohner kannten ja noch viele Nachbarn aus dem gegenüberliegenden Dorf. Ein junger Mann war bei einer Behrunger Familie zu Gast und dort zum Essen eingeladen. Dort wurde ihm auch der Wunsch erfüllt, einmal im Leben Trabi fahren zu dürfen. Bereits im Januar besuchten Rappershäuser eine Karnevalsveranstaltung in Behrungen. Der Straßenabschnitt an der Grenze zwischen Behrungen und Rappershausen war anfangs nur provisorisch geschottert. Am 12. April 1990 wurde dort ein kleiner Grenzübergang errichtet. Die nur noch nach dem Ausweis schauenden Beamten waren in einem kleinen Holzhäuschen untergebracht. Ab dem 1. Juli 1990 wurden sämtliche Kontrollen eingestellt. Die neu ausgebaute Straße zwischen Behrungen und Rappershausen wurde im Sommer 1991 feierlich eingeweiht. "Einst lagen wir etwas abseits des Weges und heute sind wir mitten in Deutschland zu Hause", schließt Edgar Günther lächelnd seine Erzählung ab.



