Aufrichten? Kommt gar nicht in Frage. Ingrid Mansel vom Verein zur Rettung des schiefen Turms von Bad Frankenhausen lacht hell in die Winterluft. "Wir wollen ihn nicht aufrichten, schließlich machen wir ja Reklame damit." Wie sein berühmter Vetter in Pisa muss ein schiefer Turm schief sein, sonst fehlt ihm das, was ihn so außergewöhnlich macht.
Nicht kerzengerade wie eine Fichte in der Konkurrenz des Thüringer Waldes reckt sich der Frankenhäuser Turm nach oben. Vielmehr neigt er sich bedenklich in Richtung Nordosten. Sage und schreibe vier Meter und 22 Zentimeter weicht die Turmspitze inzwischen vom Lot ab. Würde man einen Winkel anlegen, könnte man eine Abweichung aus der Senkrechten von viereinhalb Grad messen.
Damit legt sich der Schiefling um ein halbes Grad mehr krumm als sein italienischer Kollege. Nur so berühmt ist er nicht. Das Kyffhäuser-Gebirge ist eben nicht die Toskana und Bad Frankenhausen nicht Pisa. Aber so wenig hat das nordthüringische Städtchen auch nicht zu bieten. Immerhin finden sich in der schönen Landschaft das bekannte Kyffhäuser-Denkmal oder Werner Tübkes riesengroßes Panorama über den Bauernkrieg, das eigentlich das ewig wiederkehrende Welttheater aus Liebe und Leid, Krieg und Frieden darstellt.
Der Turm, die Höhle und der Gips
Nicht unerwähnt bleibt in jedem Reiseführer freilich auch die Barbarossa-Höhle als einzigartige Gipskarsthöhle. Und damit ist man auch schon beim schiefen Turm. Denn die Höhle und die Probleme des Turms sind aus dem gleichen Stoff. Der Gipsuntergrund des Kyffhäusers, in dem noch immer Knochen der 1525 massakrierten Bauern zu finden sind, ist einfach nicht hart genug für den 56 Meter hohen Turm der Oberkirche.
Das ist geologisch zwar ein bisschen schlicht gesprochen, fällt aber nicht weiter ins Gewicht, weil es um die Wirkung geht: Ein Teil des Turmes steht stabil, an der Nordostecke aber wird ihm der Boden zu weich. Also neigt er sich - und das schon seit Jahrhunderten. Bereits um 1650, sagt Turmretterin Mansel, wurde die Schieflage des vor gut 600 Jahren erbauten spätgotischen Bauwerkes dokumentiert.
Aus, Ende, umgefallen?
Doch mittlerweile geht es auch mit dem Neigen schneller. In den vergangenen Jahren, so haben Experten der Technischen Universität Magdeburg berechnet, legt sich der Turm sechs Zentimeter pro Jahr zur Seite. Weil sich das sogar noch beschleunigt, könnte in zehn Jahren alles vorbei sein. Aus, Ende, umgefallen.
Doch der Bad Frankenhäuser Förderverein sagt dazu nicht nur Halt, er will selbigen seinem Schützling auch geben. Die Experten haben sich deshalb ausgedacht, dem Turm zur Stabilisierung eine Betonplatte unterzuschieben. So könnte er bleiben, wie er ist: Schief, aber das mit aufrechter Haltung. Nur die 500 000 Euro aufzutreiben, die für seine Rettung benötigt werden, fällt den Turmfreunden um Ingrid Mansel alles andere als leicht. Spenden, sagt sie, sind jederzeit willkommen.
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