Man schrieb den 16. April 1945. Für Konrad Werner, ehemaliger Bundeskulturreferent der Landsmannschaft Schlesien, hat sich dieser Tag fest im Hinterstübchen eingemeißelt. Auch wenn der heute 88jährige inzwischen in der Vill’schen Stiftung lebt, kann er sich noch detailgetreu an ihn erinnern.
Werner steckte damals mitten drin im Kampf der Roten Armee um Berlin. Mit 20 000 Geschützen griffen die Sowjets an jenem 16. April um 4 Uhr früh vom Oderbruch her zwischen Küstrin und den Seelower Höhen an. Damit begann die blutigste Schlacht des Zweiten Weltkriegs mit mehr als 200 000 Gefallenen Soldaten und etwa 100 000 toten Zivilisten, darunter viele Flüchtlinge und Vertriebene aus dem Osten.
Hermann Göring befahl seinerzeit Flugschülern, sich mit unbewaffneten Jagdfliegern in US-Bomberverbände zu stürzen. Das gleiche geschah auch an der Ostfront. Konrad Werner wurde im Rahmen der „Aktion Galland“ von einer Scheinwerferstellung in Verona als ehemaliger Segelflieger einberufen. Nur die sich gegen Kriegsende überstürzenden Ereignisse beendeten diese Aktion. Der damals 20-Jährige überlebte. An diesem Tag hätte auch sein 1943 verstorbener Vater Geburtstag gehabt. Schicksal? Gottesfügung? Der Tag jedenfalls ist für ihn bis heute Denkwürdigkeit. Rückblick: Am Ostersonntag, man schrieb den 1. April 1945, und es war kein Aprilscherz, so Werner heute, als er mit einer Fallschirmjägereinheit an den Oderbrückenkopf in die vorderste Linie gegenüber gegen die Russen beordert wurde, ausgestattet als Schütze mit einem Maschinengewehr. „Und das alles in der Erwartung des unausbleiblichen Angriffs von der anderen Seite.“
In den Nächten sei das Heranrücken von Panzern und Geschützen zu hören gewesen. Russische Pioniere hatten bereits die Oder überquert und rückten vor. Tagsüber gab es nur gelegentlich Schusswechsel oder Granateneinschläge. „Aber das richtige Schießen ließ nicht lange auf sich warten: Die Bäume des Parks stürzten ineinander. Links und rechts rollten Panzer mit Bodenflammenwerfern die Front auf, das große Sterben begann“, erinnert sich Werner. Er gelangte mit einigen Kameraden auf dem einzigen, nicht einsehbaren Grabenweg nach hinten. Zusammen mit anderen Versprengten flüchtete er in einen noch von der Bevölkerung eilends ausgehobenen Schützengraben. Der 15. April war ein sonniger, freundlicher Tag, erinnert sich Konrad Werner heute. „Fast hätte man das ganze Elend verdrängen können.“
Schon in der nächsten Nacht breitete sich dichter Nebel aus. In den frühen Morgenstunden des 16. April setzte mehrstündiges Artilleriefeuer ein, gefolgt von „Urrä-Schreien“ der russischen Infanterie. „Noch den rechten Arm am Abzug des MG-42 haltend, erwischte es mich am rechten Schulterblatt und zwei andere Kameraden daneben ebenfalls.“
Der befehlshabende Major schickte die Männer nach hinten: Ein Melder sollte kommen mit dem Befehl, die Stellung räumen zu können. Aber die Dorfstraße von Beiersdorf stand schon unter Beschuss. Werner und seine Kollegen schlugen sich durch, vorbei am märkischen Kiefernforst, an Verbandsplätzen, wo sich Ärzte um die Verletzten kümmerten.
Auf Umwegen kam er nach Königswusterhausen in ein noch kaum belegtes Lazarett, wo seine Verletzungen versorgt wurden. Am nächsten Morgen bot sich die Möglichkeit, mit einem Lazarettzug am Bahnhof nach tagelanger Fahrt über Lübeck in ein Feldlazarett an der dänischen Grenze zur Ausheilung zu kommen. Über weitere Umwege gelangte Werner nach Bad Neustadt. Es sollte Jahrzehnte dauern, bis er sein geliebtes Schlesien (heute Polen zugehörig), die Geburtsstadt Hirschberg und die Berge des Riesengebirges wiedersehen sollte. Vergessen hat er sie bis heute nicht. In Bad Neustadt gründete er eine Familie, zwei Töchter kamen zur Welt. Werner selbst fand er als Verwaltungsangestellter im Finanzamt Bad Neustadt eine Anstellung.
Er engagierte sich in der landsmannschaftlichen Arbeit, wurde 1961 zum Vorsitzenden der Ostdeutschen Landsmannschaft in Bad Neustadt gewählt, war von 1962 bis 1987 Vorsitzender des Bundes der Vertriebenen im Landkreis Rhön-Grabfeld. Im Dezember 1978 wählte man Konrad Werner zum Bundeskulturreferenten der Landsmannschaft Schlesien. Dafür wurde er mit dem „Schlesierschild" ausgezeichnet, die höchste Auszeichnung der schlesischen Landsmannschaft.