Als sich der am 26. September im Alter von 95 Jahren verstorbene Salem-Gründer Gottfried Müller vor 40 Jahren für Höchheim als Standort für ein Kinder- und Jugenddorf entschied, war nicht jeder in der Milzgrundortschaft von dieser Idee begeistert. „Es gab durchaus Skeptiker, die das Projekt mit Argwohn betrachteten“, erinnert sich Salem-Geschäftsführer Gerhard Lipfert an den Tag zurück, als der Grundstein für das erste Haus gelegt wurde.
Lipfert war damals erst kurze Zeit Mitarbeiter des gemeinnützigen und überkonfessionellen Sozialwerks, das bis vor kurzem „Bruderschaft Salem“ hieß und heute unter dem Namen „Salem International“ agiert. Trotz seines relativ jungen Alters – Lipfert war gerade Anfang 20 – übertrug ihm Gottfried Müller die Aufgabe, die Siedlung im Milzgrund aufzubauen, was binnen weniger Jahre gelang. Auch deshalb machte ihn der Salem-Gründer später zu einem der drei Geschäftsführer einer Bruderschaft, die seit ihrer Gründung im Jahr 1957 bis heute über 40 soziale Projekte auf allen Kontinenten dieser Welt realisiert hat.
Lebensbereich für 50 Menschen
Im Kinder- und Jugenddorf in Höchheim mit den angegliederten Werkstätten und der Bio-Landwirtschaft leben heute rund 50 Menschen. Ebenso viele finden dort Arbeit und Gerhard Lipfert weist nicht ohne Stolz darauf hin, „dass Salem der größte Arbeitgeber im Dorf ist.“ Weil er das Dorf maßgeblich mit aufgebaut hat, ist es ihm besonders ans Herz gewachsen. Deshalb wohnt er auch hier. Häufig ist er zuhause allerdings nicht anzutreffen, zu sehr nehmen ihn andere, im Aufbau befindliche Projekte in Beschlag. „Wenn es hoch kommt, war ich in diesem Jahr vielleicht drei, vier Wochen daheim“, schätzt der Salem-Geschäftsführer, der sich in dieser Funktion vor allem um den Aufbau und die Pflege internationalen Kontakte bemüht.
Besonders intensiv kümmert er sich seit ein paar Jahren um den Bau einer Siedlung in Rußland. Vier Häuser für sozial benachteiligte Jugendliche und Waisenkinder stehen schon in „Regenbogen“, wie das Dorf heißt, doch abgeschlossen sind die Arbeiten in dem kleinen Ort bei Kaliningrad, dem ehemaligen Königsberg, noch lange nicht. „Weil wir auf Spenden angewiesen sind, geht es nur Stück für Stück vorwärts“, erklärt Lipfert.
Im Einklang mit der Natur
Vor wenigen Monaten wurde im russischen Dorf mit dem Bau einer Pflanzenkläranlage begonnen, was Voraussetzung war für die Errichtung weiterer Häuser. Mindestens zehn sollen es noch werden und die Bewohner sollen lernen, sich durch nachhaltige und biologische Landwirtschaft zu versorgen und ihre Produkte zu verkaufen – wie es zum Beispiel in Höchheim schon seit vielen Jahren funktioniert.
„Frieden bedeutet für uns auch, im Einklang mit unserer Natur und Umwelt zu leben“, nennt der 61-Jährige eine wichtige Grundüberzeugung von Salem, das vom hebräischen Schalom abgeleitet ist und „Frieden“ bedeutet.
Gegner des Kapitals
„Salem bekennt sich außerdem zu den biblischen Gesetzen und den Menschenrechten“, so Gerhard Lipfert. Auch für Salem-Gründer Gottfried Müller seien die christlichen Gebote immer Grundlage für das eigene Handeln gewesen. „Freunde hat er sich allerdings nicht überall gemacht, wenn er sich zum Beispiel als Gegner des Kapitals zu erkennen gab“, erinnert sich der langjährige Weggefährte des Salem-Gründers. Gottfried Müller sei immer ein Mann des Friedens und in der Lage gewesen, zerstrittene Menschen wieder zusammenzubringen.
Zur Person
Salem-Gründer Gottfried Müller Gottfried Müller wurde am 10. April 1914 in Gschwend in Schwaben geboren. Nach einer kaufmännischen Lehre war er unter anderem als Kaufmann tätig. Im Zweiten Weltkrieg entkam er der Todeszelle, was ihn bewog, ein Sozialwerk aufzubauen. Am 16. September 1957 gründet er in Stuttgart-Leonberg mit Freunden die Bruderschaft Salem. Eine erste Hilfsstelle für Obdachlose und Arbeitslose, die aus zwei Holzbaracken besteht, wird eingerichtet. Es folgen weitere Obdachlosenheime in ganz Deutschland. Zwischen 1969 und 2006 bringen Gottfried Müller und seine Mitstreiter zahlreiche weitere Salem-Projekte auf den Weg, darunter das Kinder- und Jugenddorf in Höchheim.