Plötzlich wurde das Wachpersonal blass. Ohne Ausweiskontrolle, geschweige denn mit Erlaubnis stürmten Dutzende Studenten in das Thüringer Parlament. Der Trupp hatte sich von einer Demonstration mit mindestens 5000 Teilnehmern abgespalten und war über eine sonst verschlossene Pforte in den Landtag eingedrungen. Ohrenbetäubend gellten die Trillerpfeifen. Die Teilnehmer der Anhörung des Wissenschafts-Ausschusses, die in der ersten Etage seit dem Morgen tagten, dürften dabei fast von ihren Stühlen gefallen sein.
Angst um Bildung
"Wir sind hier, wir sind laut, weil man uns die Bildung klaut", rief der Studenten-Chor. Nur mit Mühe gelang es Polizisten, sie von der Treppe, die zum Sitzungssaal der Anhörung führte, zurück ins Foyer zu drängen. Zur Beruhigung der Wachleute bekannte sich später der Linkspartei-Abgeordnete Matthias Bärwolff als Türöffner. Von einer Anzeige der Eindringlinge wegen Hausfriedensbruchs wird die Landtagsverwaltung voraussichtlich absehen. Allerdings könnte sich der Ältestenrat mit Bärwolff beschäftigen, wie Jörg Hopfe vom Landtag andeutete.
Der Leitende Ministerialrat hatte die undankbare Aufgabe, mit einem Megafon gegen den Sturm der Entrüstung anreden zu müssen. "Herzlich willkommen im Landtag", begann Hopfe seine Deeskalation. Jeder habe das Recht, seine Meinung kundzutun, worauf der Chor erwiderte: "Bildung für alle". Die Studenten vertreten diesen Anspruch deshalb mit solcher Vehemenz, weil sie Mehrbelastungen fürchten. Nach dem geplanten Hochschulgesetz, das Gegenstand der Anhörung im Landtag war, soll es eine neue Verwaltungsgebühr von 50 Euro pro Semester geben. Doch das, so der Verdacht, könnte der Einstieg in Studiengebühren sein. Zu welchen Emotionen so etwas führen kann, zeigte sich im Mai in Hessen, wo Studenten gleich mal eine Autobahn abriegelten.
Die Thüringer Hochschulrektoren wiederum sehen sich durch das Gesetz zu stark vom Wissenschaftsministerium gegängelt. Die Studenten verweisen darauf, dass das Gesetz ihre Mitbestimmung an den neun Thüringer Hochschulen weitgehend unmöglich mache. Viel unmittelbarer aber ärgern sie sich über 16 neue Gebühren, für Prüfungen etwa oder Eignungstests.
"Wir woll'n den Dieter seh'n, wir woll'n den Dieter seh'n", sangen deshalb die Landtagsstürmer im Foyer des Parlaments. Wissenschaftsminister Jens Goebel (CDU), der eine Etage höher bei der Anhörung saß, fühlte sich vom Ruf nach Ministerpräsident Dieter Althaus nicht angesprochen. Andere Abgeordnete schauten - je nach Partei-Zugehörigkeit - neugierig bis skeptisch über die Brüstung.
Mehr Gängelei
"Ohne Dieter geh'n wir hier nicht raus", drohte der Chor, der vom freundlich-resoluten Ministerialrat Hopfe jedoch allmählich zum Verstummen gebracht wurde. "Ein Verweilen erfüllt den Tatbestand des Hausfriedensbruchs, der strafrechtlich verfolgt wird", teilte er per Megafon mit. "Geh'n wir?", murmelten sich deshalb die Ängstlichen unter den Protestierern zu. "Ich hab' keinen Bock, aktenkundig zu werden." Immerhin war die Treppe zur ersten Etage inzwischen von Polizisten gesichert worden und ein Beamter mit Videokamera war auch bereits da.
Also zogen sich selbst die Verwegenen zurück, nachdem sie der SPD-Abgeordneten Dagmar Becker noch einmal ihren Unmut kundgetan hatten. Überzeugen mussten sie sie nicht, auch Frau Becker findet Studiengebühren scheußlich. Anders könnte es beim CDU-Bildungspolitiker Volker Emde aussehen, der just in das Ende der Landtagsbesetzung stolperte. Als er zur Diskussion aufgefordert wurde, lief er wortlos davon. Immerhin: Am Abend erklärte die CDU, in der weiterhin Studiengebühren erwogen werden, zumindest auf die neue Verwaltungsgebühr verzichten zu wollen.