Strahlende Gesichter künden vom Glück, das vier Menschen im Augenblick empfinden. Die Verwandlung von mittelprächtiger Stimmung zum Hochgefühl haben zwei Vierbeiner bewirkt: zwei gutmütige Therapie-Pferde, die mit der kleinen Gruppe unter der Überschrift „Therapeutisches Reiten“ unterwegs waren.
Es ist eine besondere Geschichte, die sich hinter dem Begriff verbirgt, der allgemein an Bedeutung immer mehr gewinnt. In diesem Fall beginnt sie in der Saaletalklinik des Rhön-Klinikums, in der Menschen mit Suchterkrankungen behandelt werden. Die Pflegedienstleitung dort hat Andrea Link, die aber nicht nur Krankenschwester ist, sondern auch passionierte Pferdeliebhaberin und Besitzerin der Sunshine-Ranch in Mellrichstadt.
Sie entwickelte ein Konzept speziell für die Patienten der Saaletalklinik und der Klinik Neumühle, in der Drogenabhängige die Chance zu einem Neuanfang bekommen, und ließ sich mit Unterstützung des Rhön-Klinikums auf der Orenda-Ranch in Burglauer zur ersten zertifizierten Reittherapeutin des Hauses ausbilden.
Es sind ganz bestimmte psychische Kriterien, die eine heilsame Wirkung des therapeutischen Reitens bei jemandem erwarten lassen. So erlebte es Cornelia (Namen geändert), dass sie ihr Bezugstherapeut „abfragte“, ob dieses oder jenes Symptom auf sie zutreffe. Cornelia bejahte alle Punkte, damit stand fest: Sie macht beim therapeutischen Reiten mit, in der Regel sind dafür sechs Doppelstunden vorgesehen.
Zusammen mit den drei anderen steigt Cornelia an der Saaletalklinik in einen kleinen Klinikbus, bereits auf der Fahrt nach Mellrichstadt rücken die eigenen Probleme ein wenig in den Hintergrund. Nach einer kurzen Besprechung im „Bauwagen“ der Ranch wird bei der ausgiebigen Begrüßung und beim Striegeln der erste Kontakt zu den beiden Pferden aufgebaut. Da alle vier keine Reiter sind, erfolgt das Aufsteigen über eine Leiter. Zügel gibt?s keine, wer auf dem Rücken sitzt, muss plötzlich viel Vertrauen aufbringen: vor allem in den Mitpatienten, der das Tier führt und dabei von einer weiteren Reittherapeutin begleitet wird.
Gemütlich und spielerisch geht es los auf die Reise zu neuen Selbsterfahrungen, dabei sind die äußeren Bedingungen am idyllischen Streu-Ufer ideal. Schmale Brücken und Stege wollen überwunden werden, breitere Wege laden zum Loslassen und befreiten Heben der Arme ein. Kann ein Pferd unterwegs der grünen Nasch-Versuchung nicht widerstehen, ist der Patient an der Leine gefordert, sich gegen das Tier durchzusetzen.
Als die Gruppe beschließt, mit Ross und Reiter in die Streu zu waten (und sich dabei auch nasse Schuhe zu holen), kämpft Cornelia mit der Böschung. Sie bittet jemanden um Hilfe – ein Schritt, den sie in ihrem Leben noch nicht oft getan hat. Der Spaß im Wasser ist für alle riesengroß, in dieser Form lässt er sich natürlich nur an warmen Tagen erleben. Bei jeder Witterung und Temperatur führt Andrea Link das therapeutische Reiten unter dem Aspekt durch: Verantwortung übernehmen und aktiv werden, sich überwinden, auch wenn es schwerfällt.
Besonders eindrucksvoll gestaltet sich der Abschied vom Pferd: Da wird der Hals getätschelt und ein Danke ins Ohr geflüstert und noch ein intensiver Moment der Verbindung genossen, wenn der Reiter mit seinem Rücken entspannt auf dem Rücken des Pferdes liegt. Hier wachsen neue Kräfte für die Gestaltung einer suchtmittelfreien Zukunft.
ONLINE-TIPP
Viele Bilder vom therapeutischen Reiten unter rhoengrabfeld.mainpost.de