Großes Interesse zeigte eine offizielle Delegation aus der Türkei unter der Leitung von Generaldirektor Ismail Kalender vom Ministerium für Zoll und Handel an umgesetzten und funktionierenden Genossenschaftsmodellen innerhalb der erneuerbaren Energien. „Wir wollen ähnliches auch in der Türkei organisieren und erfragen deshalb die Erfahrungen in Deutschland, so kann man Anfängerfehler vermeiden“, übersetzte Serdar Özgün, der die Delegation als Dolmetscher begleitete.
In Berlin startete die Delegation, zu der auch Vertreter der Energiemarkt-Regulierungsbehörde, des Ministeriums für Energie und natürliche Ressourcen, Führungskräfte landwirtschaftlicher Genossenschaftsgruppen sowie des Dachverbands der türkischen Kreditgenossenschaften gehörten, am Sonntag und trafen dort zunächst Verantwortliche vom DGRV (Deutscher Genossenschafts- und Raiffeisenverband e. V.) und der Deutschen Energie- Agentur GmbH (dena). Am Dienstag stand ein Besuch beim BSW (Bundesverband Solarwirtschaft) auf dem Programm, dann ging es mit Zwischenstopp bei den Stadtwerken in Grafenwöhr nach Großbardorf, wo sie von Gunnar Gantzhorn von der Agrokraft GmbH und Bürgermeister Josef Demar begrüßt wurden.
An der ersten Station erläuterte Gantzhorn kurz die Organisation der Friedrich-Wilhelm-Raiffeisen-Genossenschaften (FWR) und zeigte im Ort auf dem Gelände des Sportvereins die Photovoltaikanlagen und das durch Genossenschaftsmitglieder und vorausgezahlte Miete finanzierte Tribünendach. Interessiert waren die Regierungsvertreter auch an den Ergebnissen der Dorferneuerung, denn ähnliches wäre für die türkischen Dörfer erstrebenswert. Das Bürgersolarkraftwerk und die Biogasanlage wurden anschließend besichtigt und die Verwertung der Wärme mit Hilfe des Nahwärmenetzes erläutert. „In sieben Jahren Energiewende wurden in Großbardorf Erneuerbare-Energien-Projekte mit einem Investitionsvolumen in Höhe von 15,2 Millionen Euro realisiert“, berichtete Gantzhorn. Er erläuterte auch den wirtschaftlichen Nutzen aus den Projekten für die Mitglieder, den Ort und die Region. Ungefähr vier Millionen Euro betrug das Auftragsvolumen für die regionalen Firmen beim Bau der Anlagen, rund zwei Millionen Euro fließen an EEG-Vergütungszahlungen an die Genossenschaftsmitglieder, für das Biogassubstrat werden rund 400 000 Euro im Jahr an die Erzeuger bezahlt und die jährlichen Steuereinnahmen der Gemeinde erhöhen sich um ungefähr 60 000 Euro.
Die Reise kam auf Initiative des türkischen Ministeriums zu Stande, mit dem der DGRV bereits seit vielen Jahren im Bereich Genossenschaftsförderung eng kooperiert. Das Thema erneuerbare Energie und Genossenschaften ist in der Türkei bislang noch nicht weit entwickelt, deshalb besteht großes Interesse an den Erfahrungen bei der Umsetzung der dezentralen Energiewende in Deutschland durch Energiegenossenschaften, um die Übertragbarkeit dieses „deutschen Modells“ auf die Türkei zu erkunden. Die FWR Energie eG Großbardorf wurde dabei als eine von vier deutschen Energiegenossenschaften ausgewählt, die den Gästen als anschauliches Vorbild dienen können.
In Deutschland wurden in den letzten Jahren mehr als 650 Energiegenossenschaften gegründet, die inzwischen mehr als 130 000 Mitglieder vereinen und bereits über 1,2 Milliarden Euro in erneuerbare Energien investiert haben. Genossenschaften bieten den Menschen die Möglichkeit, sich aktiv für die Energiewende vor Ort einzusetzen und gleichzeitig die regionale Wertschöpfung ihrer Heimatregion zu fördern. Die FWR Energie eG Großbardorf ist ein gutes Anschauungsobjekt. Über vierzig weitere Ortsenergiegenossenschaften wurden nach dem Modell der FWR Ortsenergiegenossenschaft gegründet, das durch die Agrokraft in Großbardorf entwickelt wurde.
Die Delegation fliegt am Freitag zurück nach Ankara, zuvor besucht sie weitere Genossenschaften in Baden-Württemberg.