Nebel über der Wasserkuppe, Niesel im Gesicht, Wind in den Haaren: Es ist ein Oktobermorgen wie er fürs Gleitschirmfliegen ungeeigneter nicht sein könnte. Doch durch die virtuelle Brille sieht man völlig klar: das Fliegerdenkmal, Wald, Wiesen, einen Adler. Ein Gleitschirmflug-Simulator macht das Abheben auf der Wasserkuppe derzeit auch bei schlechtem Wetter möglich, zumindest virtuell.
Ein Riesenvorteil für die Flugschüler der Flugschule Papillon. „Auch wenn es draußen stürmt, können wir nun drinnen trainieren“, so Geschäftsführer Boris Kiauka. Noch dazu könne man den Flug im Simulator im Anschluss mit den Schülern auswerten und erklären, warum es in der Realität vielleicht brenzlig geworden wäre. So müsse in Zukunft – sobald auch die Feinarbeiten am Simulator abgeschlossen sind – wetterbedingt keine Flugstunde mehr ausfallen.
Den Reiz des Paragleitens am sicheren Boden vorfühlen
Für Anfänger hat der Simulator einen weiteren Vorteil: Noch Unentschlossene könnten den Reiz des Paragleitens nun zunächst einmal am sicheren Boden vorfühlen. Diesen Sonntag, 22. Oktober, können Interessierte, ob flugerfahren oder blutige Laien, von 10 bis 16 Uhr das Gerät kostenlos in der Flugschule auf der Wasserkuppe testen.
Entwickelt hat die Schule den Prototyp gemeinsam mit Studenten der Technischen Hochschule Köln. Katharina Tillmanns, Game Designerin an der Technischen Hochschule Köln und ehemalige Flugschülerin von Kiauka, hat das Projekt initiiert. Acht Studenten aus dem Bereich Spieleentwicklung arbeiten seit Mai an dem Simulator. Bei Fragen rund ums Gleitschirmfliegen unterstützte sie die Flugschule Papillon, die auch Material für den Bau des Prototyps zur Verfügung stellte.
Die Entwickler mit dem Flieger-Virus infizieren
Einfach war es nicht, die Idee umzusetzen: „Die Stundenten waren alle keine Gleitschirmflieger“, erzählt Kiauka. In seinen Augen könne man aber nur realitätsnah umsetzen, was man selbst erfahren habe. Deshalb lud er die jungen Leute zum Schnupperkurs, in der Hoffnung sie mit dem Flieger-Virus zu infizieren. „Je mehr Spaß ich habe, umso mehr Herzblut stecke ich in ein Projekt.“ Eine Woche flogen die Studenten tagsüber mit den Gleitschirmen an der Wasserkuppe, nachts bauten, löteten, programmierten sie.
Kiauka war es wichtig, den jungen Menschen auch die Philosophie des Gleitschirmfliegens zu vermitteln. „Es ist die natürlichste und sicherste Art des Fliegens, ohne Zwänge und unabhängig, frei wie ein Vogel den Elementen ausgesetzt“, schwärmt er. Sein Plan ging auf: Nach kürzester Zeit hätten die Simulator-Entwickler „Blut geleckt“. Mittlerweile haben sie bereits einen Fortgeschrittenen-Kurs an der Wasserkuppe absolviert, in Kürze geht es für sie ins Trainingsgebiet nach Südtirol.
Bei aller Virtualität, die Aufregung ist echt
Nach sechs Wochen Bauen, Programmieren, Landschaft digitalisieren, präsentierten die Studenten die erste Simulator-Variante. „Wahnsinn, dass so was geht!“, war die Reaktion der Verantwortlichen der Flugschule, die zu den ersten „Testern“ gehörten. „Puhh!“, entfuhr es der Redakteurin dieser Zeitung, als sie nach dem ersten Testflug aus dem Gurtzeug stieg. Denn so gewiss der sichere Boden theoretisch ist, die Beine wackeln dennoch, das Herz klopft und die Hände zittern. Virtualität hin oder her, die Aufregung ist echt.
Dabei wirkt das Konstrukt im Obergeschoss der Flugschule auf den ersten Blick reichlich unspektakulär: Ein Gestell, Seile, Gurtzeug. Ein Eindruck, der schnell verblasst, wenn plötzlich Flugschule und Menschen verschwinden und beim Blick durch eine virtuelle Brille die Wasserkuppe aus 350 Metern Höhe zu sehen ist.
Flug über den Westhang der Wasserkuppe
Der simulierte Flug startet am Westhang der Wasserkuppe. Gelandet werden soll auf einer Wiese oberhalb von Abtsroda. Allein das Hängen im Gurtzeug ist ein Erlebnis für sich. Frischer Wind kommt aus einem Ventilator. Die animierte Landschaft wirkt wie in einem Computerspiel, bildet aber die Realität eins zu eins ab. „Da steht jeder Baum dort, wo er auch in Wirklichkeit steht“, erklärt Kiauka.
Gesteuert wird, wie in echt auch, durch Gewichtsverlagerung und mithilfe der Steuerleinen. Eine weiß gestrichelte Spirale Richtung Boden zeigt die ideale Flugbahn an. „Links an der Leine ziehen und das Gewicht verlagern“, Kiauka gibt Anweisungen, der virtuelle Gleitschirm fliegt eine 90-Grad-Kurve. „Zu weit“ oder „zu früh“, fordert er zwischenzeitlich immer wieder auf, die Flugrichtung zu korrigieren. Und bevor man virtuell crasht greift er dann doch von außen in die Leine. Alles nur Simulation? Das Gefühl, abstürzen zu können, ist dennoch da.
Wenn digitale und reale Welt aufeinanderprallen
Beim zweiten Anlauf klappt es besser. „Ich seh' schon, in dir steckt ein Flieger“, die Aufmunterung aus dem Off. Die Wiese kommt näher, beim virtuellen Aufsetzen treten die realen Beine überraschend ins Leere. So klar war die simulierte Welt, so schwummerig erscheint plötzlich die Realität. „Das ist die Reizüberflutung. Digitale und reale Welt prallen aufeinander“, erklärt Kiauka und bringt dem fahlen Gesicht erst einmal ein Glas Wasser.
Der Prototyp wird kontinuierlich weiterentwickelt: In der ersten Variante steuerte man den Gleitschirm nur über die Steuerleinen, mittlerweile auch per Gewichtsverlagerung. Zudem wurden weitere Referenzpunkte, beispielsweise Wolken und ein Adler eingebaut, um die Überreizung der Sinne und das damit bei einigen einhergehende schwummerige Gefühl zu reduzieren. Das Thema Windauftrieb soll künftig berücksichtigt und weitere Flugrouten digitalisiert werden.
Für Kiauka ist die große Frage: Wie kann man diese Idee nun für andere Flugschulen nutz- und kaufbar machen? Derzeit habe man erst einmal das Tempo aus dem Projekt herausgenommen, weil die Entwickler mit ihrem Studienabschluss beschäftigt sind. Im besten Falle fände sich im Pool der ehemaligen Studenten dann einer, der das Projekt beruflich weiterführt. Allen Beteiligten ist jedenfalls klar: „Das gemeinsame Baby muss weiterfliegen.“
„Wahnsinn, dass so was geht!“
Verantwortliche der Flugschule nach dem ersten Testflug im Simulator