Vilmar Herden kam 1943 im Alter von vier Jahren zusammen mit seinem jüngeren Bruder Volker in das Waisenhaus, das sich damals noch in Altdorf befand. 14 Jahre wuchs er unter der Obhut der Diakonissen auf. Seit über 60 Jahren ist er eng mit dem Haus verbunden, organisiert Ehemaligentreffen und ist seit 35 Jahren Mitglied des Verwaltungsausschusses.
Durch Fotos, die er von der letzten Heimleiterin erhielt, kam er auf die Idee, ein Buch über das Heim und seine Erlebnisse dort zu schreiben. Besonders die Geschichte des Heims lag ihm dabei am Herzen. Durch umfangreiche Recherchen kann er nun schon vorab in einer Fotoausstellung über die Entstehungsgeschichte berichten. Das Buch, so hofft er, soll noch dieses Jahr erscheinen.
Die Geschichte des Heims beginnt mit der Stiftung des Mädchenwaisenhauses in Altdorf bei Pleß in Oberschlesien im Jahr 1848 durch die Grafenfamilie von Stolberg-Wernigerode. Als 1847 in ganz Europa viele Menschen am Hungerthyphus, hervorgerufen durch die Kartoffelfäule, starben, baten Johann Hinrich Wichern aus Hamburg und Theodor Fliedner aus Kaiserswerth auf Versammlungen um Hilfe. Die Grafenfamilie zu Stolberg-Wernigerode nahm die verelendeten Waisen in den oberen Räumen des Marstalls des fürstlichen Schlosses in Pleß auf, das übrigens von 1915 bis 1917 als Kriegshauptquartier von Kaiser Wilhelm II. bekannt wurde.
Um den Waisen dauerhafte Hilfe zu gewähren, entschloss sich die Grafenfamilie, auf ihrem Besitz in Altdorf bei Pleß ein Mädchenwaisenhaus, betreut von Kaiserswerther Diakonissen, neu erbauen zu lassen. 1906 geriet das Haus in finanzielle Nöte und sollte aufgelöst werden. Mit Mutter Eva, der Gründerin und Leiterin der Miechowitzer Diakonissen, die auf eigenes Risiko und Kosten das Heim übernahm, fanden die Kaiserswerther Diakonissen Hilfe. 1945 flüchteten die Heimleitung mit 72 Kindern, darunter 20 Babys, nach Bayern. Sie trafen nach mehreren Stationen in Übergangslösungen 1946 im geräumten Schloss Hubertus in Oberlauringen ein.
1953 wurde das Schloss samt Gästehaus und einem Teil des Parks gekauft. Vier Jahre später wurde für die ehemalige Stiftung Evangelisches Mädchenwaisenhaus eine neue Satzung erstellt und als Evangelisches Waisenhaus „Gottesgüte“ Oberlauringen in das Vereinsregister eingetragen. 1972 wurde die Wichernschule eingeweiht. Seit 1996 ist sie als Jugend- und Behindertenhilfe in Oberlauringen bekannt.
Eine interessante Geschichte, die oft auch tragische Ereignisse erzählt. Vilmar Herden befasst sich in seiner Fotoausstellung und besonders in seinem Buch nicht nur mit der allgemeinen Geschichte, sondern geht auf Einzelschicksale ein und erzählt in Anekdoten über das Leben und den Alltag im Heim – unter anderem über die Blaubeerernte, die Aufregung, wenn der Kaiser beim Jagdausritt vorbeikam, oder die Zeit der Flucht.
Im Blickpunkt
Fotoausstellung Die Fotos mit vielen Informationen sind beim Sommerfest an diesem Sonntag in der Johann-Hinrich-Wichern-Schule in Oberlauringen ausgestellt. Beginn ist um 10.30 Uhr mit dem Gottesdienst.