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Bad Neustadt: Warum die Wiedervereinigung so schnell über die Bühne ging

Bad Neustadt

Warum die Wiedervereinigung so schnell über die Bühne ging

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    Als sich vor 30 Jahren die DDR-Grenze öffnete, kamen die Trabis. Ihre Insassen wurden im Westen begeistert empfangen. Unser Bild zeigt den Grenzübergang bei Eußenhausen im Landkreis Rhön-Grabfeld.
    Als sich vor 30 Jahren die DDR-Grenze öffnete, kamen die Trabis. Ihre Insassen wurden im Westen begeistert empfangen. Unser Bild zeigt den Grenzübergang bei Eußenhausen im Landkreis Rhön-Grabfeld. Foto: Hubert Herbert

    Sie waren vor 30 Jahren Abgeordnete von Wahlbezirken im Zonenrandgebiet, von Wahlbezirken an der Grenze zur DDR. Johann Böhm (CSU) für Rhön-Grabfeld im Bayerischen Landtag sowie Eduard Lintner (CSU) und Susanne Kastner (SPD) für den Wahlkreis Bad Kissingen/Rhön-Grabfeld/Haßberge im Deutschen Bundestag in Bonn. Als am 9. November die DDR ihre Grenzen öffnete, waren die drei überrascht, wie schnell Mauer und Zaun zur DDR durchlässig geworden waren.

    Johann Böhm.
    Johann Böhm. Foto: Hubert Herbert

    Der spätere Landtagspräsident Johann Böhm war damals 52 Jahre alt und saß bereits seit 1974 im Landesparlament in München. Erst am Vorabend des 9. November 1989 war Böhm von einer Reise nach Moskau und St. Petersburg zurück gekommen. Schon dort hatte er festgestellt: "Da fließt einiges im Osten." Im Vergleich zu einer früheren Russlandreise war alles viel lockerer. In einer Zeitung dort war sogar schon wieder von St. Petersburg die Rede, obwohl die Stadt noch Leningrad hieß, erinnert sich Böhm. Und am  Tag nach der Rückkehr war die innerdeutsche Grenze, die Grenze nach Osten offen. Man merkt Böhm heute noch an, wie in dieses Ereignis bewegt hat.

    "Dass es so schnell geht, das hatte ich nicht gedacht", sagt er. Noch im Frühjahr 1989 hatte er an einer Umfrage teilgenommen. Eine der Fragen lautete: Glauben Sie an die Wiedervereinigung Deutschlands? Seine Antwort: Ein klares Ja. Wie lange es bis dahin noch dauern könnte? Böhm gab den Zeitraum fünf bis zehn Jahre an und hielt das für sehr optimistisch. Ein halbes Jahr später hatte die Geschichte diese Einschätzung überholt.

    Böhm: "Mich hat die Grenzöffnung sehr bewegt"

    "Mich hat die Grenzöffnung damals innerlich sehr bewegt", sagt der ehemalige Landtagspräsident. Er fuhr dann gleich am nächsten Tag zum Grenzübergang Eußenhausen hoch, stellte sich an eine Böschung und beobachtete, wie die Trabi-Schlangen aus dem Osten angerollt kamen. Das sei unheimlich beeindruckend gewesen. "Da waren viele dabei, die noch ihren Blaumann anhatten und nach Schichtende einfach mal schauen wollten, ob man tatsächlich einfach so über die Grenze in den Westen fahren konnte."

    Mit drei Jahrzehnten Abstand sagt Böhm, dass sich die Wiedervereinigung im Großen und Ganzen gut entwickelt habe. "Wir sind oft rüber gefahren und haben sie beraten, wenn sie das wollten", so Böhm. "Irgendwann wussten die aber selber ganz gut Bescheid." In der Zeit nach der Wende erwischte sich Böhm noch gelegentlich dabei, dass er sich bei der Fahrt zum ehemaligen Grenzübergang Eußenhausen automatisch an die Brusttasche des Jackets griff, um zu prüfen, ob er den Pass einstecken hatte. Das passiert Böhm schon lange nicht mehr.

    Für Lintner war der Mauerfall fast ein Geburtstagsgeschenk

     Für Eduard Lintner war die Grenzöffnung fast noch ein Geburtstagsgeschenk. Es war nur fünf Tage nach seinem 45. Geburtstag, als sich Mauer und Zaun zwischen West- und Ostdeutschland öffneten. Damals war Lintner Vorsitzender der Arbeitsgruppe Deutschlandpolitik und Berlinfragen der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag, dem Lintner bereits seit 1976 angehörte.

    Lintner war überrascht an jenem Abend des 9. November vor dem Fernseher, aber dass sich die Grenze früher oder später öffnen würde, sei ihm schon einige Zeit klar gewesen. Schließlich war er als deutschlandpolitischer Sprecher seiner Fraktion damals oft in der DDR. Er kannte die Situation im Osten. "Ich hatte Kontakt zu Montagsdemonstranten. Mir war klar, dass sich da was tun würde", sagt er heute. Ende September '89 hatten ja bereits die DDR-Flüchtlinge, die in der Prager Botschaft der Bundesrepublik ausgeharrt hatten, die Ausreisegenehmigung aus der DDR erhalten.

    Eduard Lintner an einigen Teilen der Berliner Mauer, die in Niederlauer neben dem Dicken Turm stehen.
    Eduard Lintner an einigen Teilen der Berliner Mauer, die in Niederlauer neben dem Dicken Turm stehen. Foto: Ralf Ruppert

    Sorgen machte sich Lintner damals darüber, wie die Russen auf den wachsenden Druck der Menschen in der DDR reagieren würden. "Doch da hat Gorbatschow für Ruhe gesorgt", ist Lintner heute noch dankbar. Als die Grenze dann tatsächlich für alle offen war, setzte sich Lintner gleich am nächsten Tag ins Auto, um rüber zu fahren: Meiningen war sein erstes Ziel.   

    Aus den beiden deutschen Staaten wieder einen zu machen, das war eine spannende Aufgabe, so Lintner. "Vor allem war es eine verfassungsmäßige Frage", sagt er. Denn eigentlich steht im Artikel 146 zwar, dass das Grundgesetz "nach der Vollendung der Einheit und Freiheit Deutschlands" weiter gilt. Da steht aber auch, dass das Grundgesetz seine Gültigkeit verliert, wenn sich das deutsche Volk in freier Entscheidung eine neue Verfassung gegeben hat.  

    Neue Bundesländer statt neuer Verfassung

    Für eine neue Verfassung hätte man aber viel Zeit gebraucht, sagt Lintner. Damals sei es aber darum gegangen, die Wiedervereinigung so schnell wie möglich hinzubekommen. Schließlich habe es Nachbarländer gegeben, die ein vereintes Deutschland nicht so gerne sahen. Denen wollte man nicht so viel Zeit lassen, ihre Bedenken zu formulieren, erklärt der ehemalige Bundestagsabgeordnete. Die Lösung: Die ehemalige DDR wurde als neue Bundesländer in die Bundesrepublik aufgenommen. 

    Auch im Rückblick ist für Lintner damals alles vernünftig gelaufen. Er gibt aber auch zu, dass der Prozess der Wiedervereinigung in den Köpfen länger dauern kann. Es sei eine Illusion zu glauben, dass man damals mehr von der maroden Industrie hätte retten können. Viele Produkte seien einfach nicht mehr marktfähig gewesen. Sie seien in der DDR nur deswegen gekauft worden, weil man auf Westware keinen Zugriff hatte. Die Treuhand habe ihre Arbeit gut und schnell gemacht, so Lintner.

    Insgesamt, sagt Lintner, sei die Wiedervereinigung eine sagenhafte Erfolgsstory. 

    Susanne Kastner war von 2002 bis 2009 Vizepräsidentin des Deutschen Bundestags.
    Susanne Kastner war von 2002 bis 2009 Vizepräsidentin des Deutschen Bundestags. Foto: Silvia Gralla

    Für Susanne Kastner waren die Tage rund um den 9. November 1989 "beeindruckend und berührend zugleich". Die 72-Jährige aus Maroldsweisach (Lkr. Hassberge) saß damals für die SPD im Bundestag und erinnert sich gerne an "die große Freude überall im Land über diese friedliche Wiedervereinigung". Bewegend sei es gewesen, überall Menschen zu sehen, "die sich in den Armen liegen".

    Susanne Kastner ist besorgt über den Rechtsruck in Deutschland

    In den Jahren danach habe sie jedoch auch Enttäuschung bei den Menschen wahrgenommen: "Die Wessis sagten: 'Wir bauen die Mauer wieder auf', die Ossis schimpften: 'Wir werden verkauft.'" Kastner hat diese Äußerungen nie verstanden: Natürlich seien auch Fehler gemacht worden im Prozess der Wiedervereinigung, der sehr vom Westen geprägt worden sei. Vieles im Osten wurde wegrationalisiert, so Kastner. Und doch sei die Einheit eben auch eine historisch einmalige Chance gewesen.

    30 Jahre später ist bei Susanne Kastner, die sieben Jahre lang auch Vizepräsidentin des Bundestags war, die Freude über den Fall der Mauer einer Besorgnis über die politische Lage im Land gewichen. Mit einem Schrecken bewertet sie den Rechtsruck hierzulande und sagt: "Wer aus Enttäuschung AfD wählt, muss wissen was er tut: Er wählt Faschismus pur."

    Die Sozialdemokratin, die von 1989 bis 2013 dem Deutschen Bundestag angehörte und heute noch SPD-Ortsvorsitzende in Maroldsweisach ist, hält die aktuelle Groko "für brandgefährlich", weil es keine kraftvolle Opposition gibt. Hauptaufgabe der Zukunft sei es, "die Demokratie in unserem Land zu verteidigen". Diese sei nicht nur eine "herausgehobene Aufgabe" der Politik, "sondern der gesamten Zivilgesellschaft". 

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