Erst mal ist sie erschrocken, dann war sie fasziniert: Karin Heilmann aus Roth an der Saale (Lkr. Bad Kissingen) ist kürzlich über Himmeldunkberg und Schwedenschanze nach Oberweißenbrunn gewandert, als sie – es dämmerte schon – plötzlich auf eine Hexenpuppe im Baum und den Gedenkstein Hexen-Ruh stieß. Der Ort ließ sie nicht mehr los.
Heilmann, die ursprünglich aus der Fränkischen Schweiz stammt und in Bad Neustadt als Medizinische Fachangestellte für Onkologie arbeitet, interessiert sich schon immer für Natur, Kräuter, alte Sagen und Geschichten. „Hexen waren ja oft nichts anderes als kräuterkundige Frauen.“ Da muss es doch eine Geschichte geben, dachte sie und stellte ein Foto von dem Ort samt der Frage nach dem Hintergrund in die Facebook-Gruppe „Rhön Historisches und Aktuelles“.
„Die Schaufensterpuppe für eine neue Hexe ist schon vorhanden“
Ludwina Abert, die die in die Jahre gekommene Hexe austauschen will
„Das Interesse war riesengroß“, berichtet sie. Viele Nutzer beteiligten sich am Rätselraten und bei der Suche nach Antworten. Die Reaktionen reichten von Ausrufen wie „Hilfe, schock, lach“ bis hin zu konkreten Tipps und Hinweisen.
Einer kannte die Stelle etwa vom Geocachen, also von der elektronischen Schatzsuche. Vielleicht haben die Brunnenfreunde Oberweißenbrunn dort „ihr Unwesen getrieben“, lautete eine weitere Vermutung. Die ehrenamtliche Vereinigung, die sich der Pflege und dem Bau von Brunnen widmet, sei fleißig im Bischofsheimer Umfeld unterwegs gewesen.
Ob der Begriff Hexen-Ruh eventuell auf den historischen Flurnamen „Hetzenhecken“ zurückgehe? Oder hat gar die Hexenverfolgung im Mittelalter etwas damit zu tun, fragt sich ein weiteres Gruppenmitglied.
So viele Tipps die Facebook-Gruppe auch zusammentrug, eine endgültige Antwort fand das Forum nicht. Am Ende wandte sich ein Nutzer in einem hilfesuchenden Aufruf an die Oberweißenbrunner selbst: „Bu sinn dann die Öwerwissebrönner die wos wesse? Die Käscher woänns niäd. Do hing scho für 25 Johr a Hex im Bam.“
Grund für diese Zeitung, mal vor Ort nachzufragen: Helmut Simon aus Oberweissenbrunn hat zwar kein Internet, aber die Lösung. Gemeinsam mit seinen Brunnenfreunden hat er 2006 den Gedenkstein Hexen-Ruh an jener Stelle gesetzt, eine Sitzgruppe und Wasserrinne errichtet.
Den Namen Hexen-Ruh haben die Brunnenfreunde und er natürlich nicht erfunden. Tatsächlich, erinnert sich Simon, hat der frühere Rhönklub-Zweigvereinsvorsitzende Josef Müller aus Oberweißenbrunn schon vor circa 50 Jahren eine Stoffhexe in den Baum vor Ort gehängt.
Simon weiß zwei Geschichten zu berichten, auf die der Name Hexen-Ruh zurückgehen könnte. Eine Sage habe ihm ein „uralter Mann“ erzählt: Auf dem Teufelsberg sei früher ein alter Jäger zu Gange gewesen. Einmal habe der einen Hasen in der Schlucht geschossen. „Doch der Hase war weg und ward nicht mehr gefunden.“ Ob da nicht eine Hexe ihre Finger im Spiel hatte?
Geschichte zwei – „das ist meine Theorie“, so Simon – nimmt ebenfalls auf dem Teufelsberg ihren Ausgang. Dort stehen drei dicke, wilde Buchen, die in der Gegend auch unter dem Namen „Hexenbäume“ bekannt sind. „Im Sommer treiben die Hexen auf den zerwilderten Bäumen ihr Unwesen“, gibt Simon die Geschichte wieder. Wenn es im Winter allerdings stürmt und schneit würden sich die Hexen an einen geschützteren Ort zurückziehen, an besagte „Hexen-Ruh“. Der Flurname, so Simons Einschätzung, habe hingegen nichts mit der Namensgebung zu tun.
Simon weiß auch, wer die aktuelle Hexe in den Baum gehängt hat: Ludwina und Kilian Abert, gebürtig aus Oberweißenbrunn, mittlerweile in Wildflecken beheimatet. „Da muss wieder eine Hexe hin“, hat sich Ludwina Abert gedacht, nachdem die Brunnenfreunde eigens einen Gedenkstein an der Hexen-Ruh aufgestellt hatten.
Auf einem mit Schafswolle ausgetopften Hemd befestigten sie und ihre Schwestern einen Frisierkopf, umwickelten alles mit Folie und bekleideten die Hexe mit Dirndl, Kopftuch und Schuhen aus Schafswolle. Nicht fehlen durfte natürlich der typische Rhön-Bomber mit Spitze.
So geschützt die Hexen-Ruh auch liegt, die Puppe litt dennoch über die Jahre unter Wind und Wetter. „Wir haben schon eine neue im Visier“, verrät Ludwina Abert der Main-Post. Die Schaufensterpuppe dafür sei schon vorhanden. Demnächst werde sie ausgetauscht.
Karin Heilmann derweil freut sich, tatsächlich eine Antwort und darüber hinaus jede Menge Denkanstöße auf ihre Frage erhalten zu haben. Interessant findet sie, dass sie als Auswärtige ein Thema angestoßen hat, das scheint's auch viele Einheimische bewegt.