Opernmuffel, aufgepasst! Respekt vor eurer Entscheidung. Es gibt Gründe genug einer zu sein. Aufgedonnerte Diven, Publikumsdamen, die ihnen nicht nachstehen, eitles Gehabe, aufgeblasene Inszenierungen, Trommelfell erschütternde Koloraturen, triefenden Pathos, dumpfes Raunen, eifriges Knödeln. Schön und gut. Aber das muss nicht Oper sein, genauso wenig wie der Medienrummel um drei Tenöre, die man sich gelegentlich an den Südpol wünscht zur Beglückung der Pinguine.
Auch Maria Callas wurde Opfer diese Rummels, wenngleich - zeitbedingt - nicht in der Perfektion/Perversion, die heute möglich ist. Immerhin wurde sie zu einem Mythos. Ihr Name verbindet sich, auch für den Unwissenden, mit großer Oper und persönlicher Tragik. - Jetzt, liebe Opernmuffel, kommt das "Aber": Dass ausgerechnet ein Kammerspiel, in dem viel geredet und wenig gesungen wird, geeignet ist, den Mythos - nennen wir es vorsichtig - zu hinterfragen und trotzdem aus Opernmuffel Opernliebhaber zu machen, das ist schon ein kleiner Geniestreich.
Terence McNallys Theaterstück "Meisterklasse" ist in der intimen Atmosphäre des Georgie's Off am Meininger Theater gut aufgehoben. Der 37-jährige freie Musiktheaterregisseur Jakob Peter-Messer wagt damit seine erste Schauspielarbeit und führt uns, zusammen mit seinem Bühnenbildner Sven Bindseil, in ein nur scheinbar mageres Szenarium: Vorhang, davor Piano, Ledersessel, Tisch (es gibt auch ein Dahinter!). Das reicht völlig, um einen Übungsraum in der Juilliard School of Music in New York anzudeuten, in der die gealterte Callas tatsächlich unterrichtet hat. Gleich wird sie - am Flügel begleitet von Daniel Carlberg - nacheinander drei Schüler ihrer "Meisterklasse" empfangen.
"Und wer, bitte, spielt die Heldin?" - Wie können Sie fragen! Wer schlüpft seit Jahren immer wieder in große tragische Frauenfiguren der Zeitgeschichte? Genau! Die Thielmann. Eben erst Jacqueline Kennedy-Onassis gewesen und nun schon in der Rolle ihrer gleichermaßen berühmten Vorgängerin in Aris Frauenreigen. (Eigentlich bietet sich hier von selbst ein Stück an über einen vertraulichen Frauendialog!)
Es gibt zwei Ebenen in der "Meisterklasse": Die konkrete des Unterrichts und - zwischengeschaltet - die Erinnerung der Callas an ihre künstlerische und private Vergangenheit. Zwar sind diese Sphären durch den Vorhang voneinander getrennt, trotzdem erscheinen sie als Schwachstellen der Inszenierung. Als Nichtkenner der Callas-Biografie konzentriert man sich lieber auf die reale Ebene. Die Einblendungen der anderen Seite ermüden mit der Zeit, weil sie mit dem gleichen Stilmittel - als Monolog - fortgesetzt werden.
Aber das, was vor dem Vorhang stattfindet, ist allemal stark genug, um aus Opernmuffel Opernliebhaber zu machen, die Geheimnisse der wahren Kunst (des Gesangs) zu entdecken und, fast schon en passant, ein paar biographische Details zu beleuchten. Im Grunde geht es weniger um die Erhellung der historischen Callas als um eine leidenschaftliche Liebeserklärung an die wahre Kunst des Gesangs und um ihre Folgen für das wahre Leben.
Marianne Thielmann wandelt mit Bravour durch diese Augenblicke des Lebens der Kunstfigur Callas. Sie füllt angesichts ihrer drei Meisterschüler Marion Bach (Kraus), Jana Havranova und Yong Bae Shin die ellenlangen Reflexionen, Zwischenbemerkungen, Kommentare, Belehrungen und Selbstbespiegelungen so mit Leben, dass es eine Freude ist, ihr zuzuhören und ihre Schüler leiden zu sehen. Und die drei leiden gut. Die Erste mit einer Arie Aminas aus Bellinis "Die Nachtwandlerin", die Zweite mit der Briefarie Lady Macbeth aus dem ersten Akt von Verdis Oper "Macbeth" und der Dritte mit der Arie des Mario Cavaradossi aus dem ersten Akt von Puccinis Oper "Tosca".
Wunderbar, manchmal gouvernantenhaft streng ist sie, die Thielmann-Callas, witzig, sarkastisch, schmerzhaft offen, verletzend im Ton, entschieden, keinen Widerspruch duldend, mit zurückhaltender Sympathie für ihre Schüler, wenn sie Mut spürt, hingebungsvoll, wenn sie "richtige" Schwingungen und Stimmungen wahrnimmt, dazwischen gibt sie sich gereizt, weise, sentimental, zerbrechlich, jämmerlich, wenn Erinnerungen übermächtig werden, und schließlich spielt sie wieder die absolut Souveräne.
Dieser Balanceakt zwischen leidenschaftlichem Leben für das Wahrhaftige in der Kunst und Projektionen der eigenen Ängste - dieser Balanceakt gelingt der Thielmann ohne Wanken. Und so sollte die "Meisterklasse" nicht nur als Pflichtveranstaltung für Opernmuffel betrachtet werden, sondern auch als Fortbildungsseminar für Sangeskünstler an nahegelegenen Theatern.
Siggi Seuß