„Es gibt kaum ein Fest, das mit so vielen Emotionen beladen ist wie Weihnachten – ein Fest des Friedens und der Freude, ein Fest für Kinder, aber leider auch ein Fest des Konsums und des Kitschs“, sagte Fred Rautenberg bei der jüngsten Ausgabe von „Mellrichstadt liest“. Am Sonntag moderierte er zusammen mit Jeanette Fraas die beliebte Lesereihe im Café Art der Kreisgalerie. Die beiden versierten Moderatoren präsentierten besinnliche, herzbewegende und nachdenklich stimmende Geschichten, aber auch einige vergnügliche Texte, die dem Motto des Lesenachmittags „Fröhliche Weihnacht überall“ gerecht wurden.
Zum Einstieg trug Rautenberg eine in fränkischer Mundart verfasste Wilhelm-Wolpert-Anekdote vor und Jeanette Fraas rezitierte die bekannten Verse aus Theodor Storms „Knecht Ruprecht“.
Ein Paket zu Weihnachten
Einem ganz anderen literarischen Genre gehört die nachfolgende, autobiografische Geschichte „Das Paket“ der Schriftstellerin Agnes Marie Grisebach (1913-2011) an, die Fred Rautenberg ausgesucht hatte. Sie entführte die Zuhörer in das Jahr 1945 an die Ostsee und erzählt von einer alleinerziehenden Mutter, die in den Nachkriegsjahren mit ihren vier Kindern bei der pflegebedürftigen Großmutter untergekommen ist. Wie viele Familien in dieser Zeit hungern auch die Frauen und Kinder. Deshalb ist die Freude sehr groß, als ein Paket vom wohlhabenden Onkel und Fabrikbesitzer aus dem Westen Deutschlands eintrifft, zumal darin alle möglichen Köstlichkeiten vermutet werden.
Trotz ihres Hungers wird das Paket von den Familienmitgliedern nicht gleich geöffnet, alle warten bis Heiligabend. Doch es gibt Tränen der Enttäuschung, als sie in dem Paket lediglich einen neuen, in Zeitungspapier eingewickelten Plastikbecher mit der Nachricht „Freuet euch: Wir produzieren wieder“ vorfinden.
Als Gastleserin stellte Margot Berrisch eine anrührende Geschichte aus der Feder von Tilde Michels vor. „Mister Santa“ spielt in den USA und handelt von einem arbeitslosen Mann, der sich kurz vor Heiligabend für ein paar Dollar als „Santa Claus“ in einem New Yorker Kaufhaus verdingt. Dort begegnet er dem achtjährigen Paco, einem Jungen aus ärmlichen Verhältnissen, der sich nichts sehnlicher als ein Paar Schlittschuhe wünscht, weil seine Mutter kein Geld für ein solches Geschenk hat. „Santa Claus“ muss Paco vertrösten. In seiner Mittagspause sieht er den Jungen an der Eisbahn im Park wieder und bemerkt seinen sehnsuchtsvollen Blick auf die Schlittschuhläufer. Er entschließt sich, seinen halben Wochenlohn als „Santa Claus“ für ein Paar Schlittschuhe inklusive der Eintrittskarten für die Eisbahn auszugeben, die er Paco am Abend unverkleidet, aber im Auftrag des Weihnachtsmannes schenkt. Während Paco sein Glück kaum fassen kann, erlebt der Weihnachtsmann, wie schön es ist, anderen eine Freude zu machen.
Wie Kinder über den Weihnachtsmann denken und was sie schon immer über ihn wissen wollten, stellte anschließend Jeanette Fraas vor. Sie präsentierte einige heitere „Kinderbriefe an den Weihnachtsmann“, in denen der gute Mann etwa um sein Rezept gebeten wird, das die Rentiere zum Fliegen bringt. Ein anderes Kind will wissen, ob er eine Frau hat. Die berühmteste Antwort auf die Frage der achtjährigen Virginia, die da lautet „Gibt es den Weihnachtsmann?“, wurde in der New Yorker Zeitung „Sun“ veröffentlicht, die laut Aussage ihres Vaters niemals lügt. Im Leitartikel vom 24. Dezember 1897 beantwortet der Redakteur Francis Church den Brief des Mädchens auf philosophische Weise. Die unsichtbare Welt sei von einem Schleier bedeckt, der nur durch Glaube, Fantasie, Liebe, Poesie, Romantik beiseitezuschieben sei, um die übernatürliche Schönheit und den Glanz dahinter betrachten und beschreiben zu können, so Church in seinem Artikel.
Mit den literarischen Beiträgen von einem Nikolaus im Parkverbot und „Das verschwundene Jesuskind“ von Catharina Bachem-Tonger war Margot Berrisch noch einmal vertreten. Letztere Kurzgeschichte handelt davon, dass aus der Kirchenkrippe die wertvolle Schnitzfigur des Jesuskindes verschwindet und nach einer Extra-Tour auf einem neuen Tretroller von einem kleinen Jungen wieder zurückgebracht wird.
Unkonventionelles Krippenspiel
Zum Abschluss präsentierte Fred Rautenberg Amüsantes von Wilhelm Wolpert. „Ä Krippnspiel“ wollen die Bewohner eines Seniorenheims aufführen. Das Merken der Texte gestaltet sich für die betagten Darsteller allerdings schwieriger als gedacht, und auch sonst läuft bei der Aufführung einiges aus dem Ruder. Der „Josef“ erzählt plötzlich vom Russland-Feldzug und die musikalische Umrahmung des Krippenspiels verbreitet auch nicht unbedingt weihnachtliche Stimmung, ebenso wie die sehr freie Interpretation der Bibelgeschichte.
An diesem Samstag gibt es beim Weihnachtsmarkt noch eine Kinderausgabe von „Mellrichstadt liest“ (siehe nebenstehender Artikel), ansonsten wird die Lesereihe im nächsten Jahr fortgesetzt. Jeanette Fraas und Fred Rautenberg laden am 8. Januar 2012 wieder ins Café Art ein. Dann gibt es Literarisches zum Thema „Der Winter ist ein rechter Mann“.