Er ist der große weiße Fleck in einer grünen Landschaft – der Truppenübungsplatz Wildflecken. Einheimische dürfen nur selten hinein, Touristen fast nie. Für ein kleines Häuflein Politiker, Behördenvertreter und Journalisten wurde nun die Schranke zum militärischen Sperrgebiet geöffnet. Die Bundesforstverwaltung wollte zum Internationalen Jahr der Wälder scheinbar Unmögliches zeigen: Wie sich Schießen und Waldwirtschaft vertragen.
Es war schon ein seltsamer Anblick: Dort, wo sich normalerweise Wildkatzen und tarngefleckte Rekruten tummeln, strömte eine ganze Ladung Anzugträger aus einem Bus. Ihr Ziel: die Waldkampfbahn.
Fein säuberlich reihten sich die Offiziellen, darunter der Bad Kissinger Landrat Thomas Bold und Bundestagsabgeordnete Cornelia Behm (Grüne), hinter einem rot-weißen Absperrband auf.
Auch Soldaten waren da. Unterhalb der Absperrung mimten sie eine Patrouille, die angegriffen wird. Ein Knall, Rauch, Kommandos wurden gerufen, geschossen. Die Gruppe trat den geordneten Rückzug an.
Was das alles mit Naturschutz zu tun hat, war nicht erkennbar. Doch Thomas Gundelach, Bereichsleiter im Bundesforstbetrieb Reußenberg klärte auf. „Wir befinden uns hier in einem 70- bis 90-jährigen Fichten-, Lärchen- und Buchen-Mischbestand. Hier hat die Optimierung der vom Nutzer gestellten Anforderungen an den Wald für den Bundesförster oberste Priorität.“
Soll heißen: Die Waldkampfbahn ist zuallererst zum Üben da. Erst dann kommen Waldwirtschaft und Naturschutz. Die Anforderungen des Militärs an den Wald: Kulisse, taktisches Element und Geschossfang.
Immerhin: Obwohl keine andere Nutzung den Wald so strapaziert wie das Schießen, hat sich in Sachen Umweltschutz etwas getan. Noch vor 25 bis 30 Jahren sei auf der Waldkampfbahn mit scharfer Gefechtsmunition geübt worden, erzählt Ulf Zeidler, Vorsitzender des Bund Naturschutz im Landkreis Bad Kissingen. Mit entsprechend starken Schäden an den Bäumen. Auch habe deswegen die Kampfbahn häufiger verlegt werden müssen. Der Landschaftsverbrauch sei riesig gewesen.
Heute wird mit blauer Plastikmunition geschossen. Auch die bleibe in den Bäumen stecken, verursache aber weit geringere Schäden, so Zeidler. Die Kampfbahn sei schon längere Zeit an derselben Stelle. Forstoberrat Gundelach zeigte eines der blauen Geschosse, die in einem Baum stecken. Die Nadelbäume im Bestand seien wegen ihrer dicken Rinde demgegenüber weniger empfindlich. Dafür die Buchen.
Sterbe eine Buche ab, sei das noch kein Problem. In das Totholz könnten sich Insekten einnisten, die wiederum Vogelarten wie Spechte anlockten. Aber: Die Forstverwaltung müsse den Wald für die Truppe sichern – mindestens alle zwei Jahre werde die Waldkampfbahn auf Gefahren überprüft. Besonders wertvolle Tierarten finden sich laut Gundelach auf der Kampfbahn nicht. Dafür sei es dort zu laut. Doch in entlegeneren Bereichen des 3,8 Hektar großen Geländes lebten beispielsweise Wildkatzen. Dort soll langfristig eine Ausgleichsfläche für diese Arten geschaffen werden.
Überhaupt wird nur ein kleiner Teil des 7282 Hektar großen Truppenübungsplatzes wirklich militärisch genutzt. Meist übt die Bundeswehr auf den Freiflächen, die mit 2100 Hektar 30 Prozent des Geländes ausmachen. 70 Prozent beziehungsweise 5100 Hektar sind Wald. Für die Armee besitzt er mehrere Funktionen – nicht nur als Auffangfläche für die verschossene Munition. Er grenzt das Übungsgelände zur zivilen die Außenwelt ab, dämmt den Schall der Geschütze.
575 Hektar in Hessen – knapp elf Prozent der Waldfläche – sind Kernzone des Biosphärenreservats Rhön. Damit habe „der Mohr seine Schuldigkeit getan“. So jedenfalls Thomas Gundelach zur aktuellen Diskussion um die Erweiterung der Reservats-Kernzonen auch auf Bundesforst.
Ein weiterer Punkt, an dem nicht geschossen wird, liegt im Süden des Truppenübungsplatzes – unweit der Schießbahn 13. Dort, wo die Kleine Sinn entspringt und sich über 8,7 Kilometer durchs Sperrgebiet zieht, hat sich ein naturnaher Erlen-Eschen-Auenwald entwickelt.
Er war zweiter und letzter Punkt der Exkursion. Dort leben viele geschützte Tiere: Eisvogel, die Fischarten Groppe und Bachneunauge – und der Schwarzstorch. Der drehte zur Freude der Besucher ein paar Runden übers Tal der Kleinen Sinn.
In der Flussaue fühlt sich seit fünf Jahren der Biber heimisch. Drei oder vier Paare leben auf dem Truppenübungsplatz. Großteils ungestört durch Menschen. Und umgekehrt.
Allerdings ratterten just an diesem Tag Maschinen. Laut Gundelach entfernen Waldarbeiter auf 2000 bis 2500 Quadratmeter einen Fremdling in der Flussaue – die Fichte. Alles das bodenschonend mit einem speziellen Seilkran von der Straße aus.
Umweltschutz und Militär haben wohl doch mehr gemein, als man zuerst denkt.