Schon Klöster haben im Mittelalter auf die Macht von Fake News gesetzt, wie man sie heute bezeichnen würde. Um im besseren Lichte dazustehen und sich die Pfründe zu sichern, wurden im 12. Jahrhundert Urkunden beim Abschreiben munter ge- und verfälscht.
Ausgerechnet auf einer in der Blütezeit damaliger Fälscherei eigenhändig abgeänderten Abschrift einer nicht oder nicht mehr vorhandenen Urkunde basiert die Grundlage dafür, dass Gerolzhofen 1979 groß sein 1200-jähriges und 2004 nochmals auf kleinerer Flamme das 1225-jährige Bestehen gefeiert hat.
Das Jahr 779 ist nur eine vage Annahme
Obendrein beruht die zur Begründung herangezogene Jahreszahl 779 nur auf einer Annahme und ist mitnichten historisch belegt.
Durch eine, allerdings auch nicht fehlerfreie Originalurkunde gesichert ist bislang nur die Ersterwähnung von „Kerolteshoua“ im Jahr 906. Der Hinweis findet sich in einer Urkunde des ostfränkischen Königs Ludwig IV. (das Kind), in der er Schenkungen seines – am 8. Dezember 899 gestorbenen – Karolinger-Vorgängers Arnulf von Kärnten an das Kloster Fulda bestätigt.
Unter den acht dort aufgelisteten Orten im Volkfeldgau wird neben Volkach auch Kerolteshoua genannt. Die Urkunde befindet sich im Hessischen Staatsarchiv in Marburg.
Auf das Jahr 906 als erste historisch gesicherte Erwähnung Gerolzhofens beruft sich folglich ebenso der Historiker und promovierte Archäologe Dr. Eike Michl in der Gerolzhöfer Stadtchronik von 2012 und in seiner Doktorarbeit über die Grabungen auf dem Kapellenberg.
Auch die Gerolzhöfer Museumsleiter Bertram Schulz und Klaus Vogt als die führenden Lokalhistoriker vor Ort vertreten diesen Standpunkt und instruieren die Stadtführer entsprechend bei den Schulungen.
Das Schnapszahl-Jubiläum 1111 Jahre Gerolzhofen ist jedoch sang- und klanglos am Städtchen vorübergegangen. Das „vergessene Stadtjubiläum“ hat Museumsleiter Bertram Schulz deshalb zum Anlass genommen, um sich Gedanken über Gerolzhofen im Licht der historisch gesicherten Geschichtsschreibung zu machen.
Die in die Köpfe eingegrabene Jahreszahl
Die 1200-Jahr-Feiern in Gerolzhofen oder auch Frankenwinheim und Donnersdorf haben dazu geführt, dass sich vor allem die Jahreszahl 779 in die Köpfe eingegraben hat.
Die Grundlage für die vermeintlich erste urkundliche Erwähnung Gerolzhofens als Siedlung „Gerolteshoue“ als auch umliegender Ortschaften bildete eine Abschrift des Klosters Fulda aus dem 12. Jahrhundert, der so genannte „Codex Eber-hardi". Die historische Authentizität dieser Handschrift ist indessen unter Fachleuten, wie schon erwähnt, sehr umstritten.
Als historisch erwiesen ist den Erkenntnissen von Bertram Schulz zufolge, dass sich das Kloster Fulda bald nach seiner Gründung im Jahr 744 reicher Schenkungen des fränkischen Adels erfreute.
Die Motive waren vielschichtig, um sich damals dadurch die Gunst der mehr und mehr an die Stelle der Könige tretenden Kirche und ihre Klöster, als auch die Gottes, wie man sich erhoffte, zu sichern.
Solch eine Schenkung von Gütern soll auch der fränkische Adelige und Grundbesitzer Ilbinc dem Kloster Fulda vermacht haben. Erwähnt sind in der Auflistung neben Gerolzhofen und anderen auch Besitzungen in Donnersdorf und Frankenwinheim, wo man diesen Umstand 1979 ebenfalls zum Anlass für 1200-Jahr-Feiern und die Herausgabe von Chroniken genommen hatte.
Mit der Zahl der Schenkungen wuchs im Lauf der Jahrhunderte die Zahl der dazu gehörigen Urkunden, die im Klosterarchiv aufbewahrt wurden. Um 1160 nahm sich ein Fuldaer Mönch namens Eberhard dieses vom Zahn der Zeit ziemlich angegriffenen und teilweise schwer lesbaren Materials an, um es als Vorlage für ein umfassendes zweibändiges Sammelwerk herzunehmen.
Der fälschende Mönch
Seine Absicht war es aber nicht, getreue Abschriften der Dokumente für die Nachwelt anzufertigen, sondern wohl eher, Propaganda für sein Kloster zu machen, wie Bertram Schulz aus der einschlägigen Fachliteratur erfahren hat.
Mönch Eberhard soll demnach die Texte der Urkunden für seine Zwecke eigenmächtig gekürzt, dann wieder erweitert und so manipuliert haben.
So tauchen bei Eberhard Ereignisse auf, die sich aufgrund der historischen Quellenlage niemals zeitlich überlappt haben können. Dazu Personen, die nicht zur gleichen Zeit gelebt haben.
Experten sehen in dem Werk ein Musterbeispiel für Ungenauigkeit und Fälschung, egal ob diese nun wissentlich oder unwissentlich erfolgte. Das Kloster Fulda und sein Mönch Eberhard waren dafür bekannt.
Selbst wenn ein Großteil der Angaben tatsächlich den Fakten in den zugrunde gelegten Urkunden entsprechen dürfte, sind sie deshalb doch immer mit einem Fragezeichen zu versehen.
Die Urkundenfälschung ist die eine Seite, die das nachträglich entstandene Dokument als zweifelhaft erscheinen lässt, die dafür angesetzte Jahreszahl die andere.
Die ältesten Urkunden, die der Mönch namens Eberhard für sein „Cartular“ genanntes Buch mit den Abschriften von Urkunden heranzog, fallen nämlich in die Zeit des ersten Fuldaer Abtes Sturmius (744-779), darunter die Urkunde über die angebliche Ilbinc'sche Schenkung.
Da es in der Geschichtsforschung üblich ist, sich bei einer ungewissen Jahreszahl auf das letzte Jahr der in Frage kommenden Zeitspanne festzulegen, wurde das Jahr 779 fiktiv der Datierung zu Grunde gelegt.
Daran, dass es die Siedlung Kerolteshoue im Frühmittelalter bereits gegeben hat, besteht indes kein Zweifel. Dafür sprechen sowohl die Ortsnamenforschung mit den Endungen wie -hofen oder -heim und die durch Grabungen und Funde belegten archäologischen Erkenntnisse zur Siedlungsgeschichte im Steigerwaldvorland, die so dem 7. und der ersten Hälfte des 8. Jahrhunderts zugeordnet werden kann.
„Ebenso wenig ist unser Markgraf Gerold als Stadtgründer historisch gesichert und nur eine Vermutung, also eine Legendengestalt zur Unterhaltung und Erbauung der Touristen“, betont Bertram Schulz.
In der Tat ist durch nichts belegt, dass ein Mann namens Gerold oder Gerolt die Stadt gegründet habe und selbst wenn, muss offen bleiben, ob dieser mit dem gleichnamigen Markgrafen oder gar dem Schwager Karls des Großen identisch ist.
Auch in der neueren Forschung reichen die Hypothesen zur Herkunft jenes „Gerold" von einem Angehörigen fränkisch-alemannischer Adelskreise bis hin zum Umfeld der Mainzer Bischöfe.
Eine Urkunde, mit der Gerolzhofen das Stadtrecht übertragen wurde, existiert übrigens ebenfalls nicht. Ursprünglich ging man davon aus, dass ein Pergamentbrief im Hauptstaatsarchiv in München von 1359, „Hierers von Tuchendorf Lehengüter werden Closter Ebrach mit Recht ertheilt“, zum ersten Mal das Siegel der Bürger von Gerolzhofen in Form des „fränkischen Rechens“ des Bistums Würzburg und der Angabe „S(igillum) civium in Geroltzhofen“ trug. Dieses Siegel setzte die Stadteigenschaft voraus.
Konkretes Datum für Stadterhebung fehlt
Dann entdeckte man aber, dass auch schon einer Urkunde aus dem Jahr 1357, in der Berthold Smit und seine eheliche Wirtin dem Gotteshause verschiedene Liegenschaften schenkten, das Siegel der Stadt angehängt war. So wurde das Jubiläum „600 Jahre Stadt Gerolzhofen“ zwei Jahre früher angesetzt und 1957 groß in Gerolzhofen gefeiert. Es war aber im Endeffekt ein Stadterwähnungs- und kein Stadterhebungs-Jubiläum.
Mittlerweile könnte man sogar das Jahr 1345 als früheste Nennung Gerolzhofens als Stadt zugrunde legen. Otto II. von Wolfskeel hatte damals in einem öffentlichen Brief die Verlegung des Jahrmarkts von Dingolshausen „in unser Stat“ Gerolzhofen bekanntgemacht.
Die Urkunde von 906 mit Gerolzhofens erstmals gesicherter Erwähnung Die auf den 29. Juni 906 datierte Urkunde befindet sich im Hessischen Staatsarchiv in Marburg. In der letzten Zeile der Urkunde wird als Ausstellungsort Trebur und als Datum der 30. Mai 890 angegeben. Hier handele es sich nach Mitteilung des Staatsarchivs um zwei sehr grobe und unerklärliche Fehler des Schreibers. König Ludwig IV., genannt das Kind, wurde im September oder Oktober 893 in Altötting geboren als einziger legitimer Sohn von König bzw. Kaiser Arnolf († 8. Dezember 899). Am 4. Februar 900 wurde er im oberfränkischen Forchheim zum König des Ostfränkischen Reiches gewählt. Er starb am 20. oder 24. September 911 vermutlich in Frankfurt am Main und wurde wie sein Vater in der Kirche der Benediktinerabtei St. Emmeram zu Regensburg bestattet. Dieser Ausschnitt zeigt den Hinweis auf „Kerolteshoua“ in der Urkunde des Hessischen Staatsarchivs Marburg von 906. Repro: N. Vollmann 890 kann also als Ausstellungsjahr nicht in Frage kommen. Zum Glück ist auch das Regierungsjahr des Herrschers angegeben, nämlich das siebte, so dass die Urkunde im Jahre 906 ausgestellt worden sein muss. Allerdings lassen sich der Ausstellungsort Trebur und das Tagesdatum nicht in Übereinstimmung bringen, da Ludwig IV. sich am 31. Mai 906 nachweislich in Rottweil aufgehalten habe. Demzufolge müsse die Tagesangabe in 29. Juni korrigiert werden, da der Schreiber sich offensichtlich um einen Monat geirrt hat, da es statt „tertio die ante Kalendas Iunii“ (30. Mai) aller Wahrscheinlichkeit nach „tertio die ante Kalendas Iulii“ (29. Juni) heißen sollte. Im Internet ist die Urkunde hier zu finden: arcinsys.hessen.de Action.action?detailid=v1700972